Kloster Northanger
einquartiert wird. Während diese sich behaglich in ihren Flügel des Hauses zurückziehen, wird sie von Dorothy, der alten Haushälterin, zeremoniell eine andere Treppe hinauf und durch viele finstere Gänge in ein Zimmer geleitet, das nicht benutzt worden ist, seit darin vor ungefähr zwanzig Jahren irgendeine Kusine oder sonstige Verwandte starb. Sind Sie einer solchen Zeremonie gewachsen? Werden Sie nicht von bösen Ahnungen überfallen, wenn Sie sich in diesem düsteren Zimmer wiederfinden, das zu hoch und geräumig für Sie ist, und der schwache Schein der einzigen Lampe durchdringt kaum die Tiefe des Raums. An den Wänden hängen Gobelins, auf denen lebensgroße Figuren dargestellt sind, und das Bett aus dunkelgrünem Stoff oder purpurrotem Samt sieht aus wie bei einem Begräbnis. Ob Sie dann nicht doch der Mut verlässt?«
»Oh! Aber das alles wird mir doch nicht zustoßen.«
»Wie ängstlich werden Sie das Mobiliar Ihres Zimmers untersuchen! Und was werden Sie entdecken? Nicht etwa Tische, Toilettengarnituren, Schränke oder Kommoden, sondern in einer Ecke vielleicht die Überbleibsel einer zerbrochenen Laute und in der anderen eine wuchtige Truhe, die sich auch mit der größten Anstrengung nicht öffnen lässt, und über dem Kamin das Porträt eines gutaussehenden Kriegers, dessen Züge Sie mit so unwiderstehlicher Gewalt festhalten, dass es Ihnen nicht gelingt, die Augen abzuwenden. Unterdessen starrt Dorothy, die von Ihrer Erscheinung ähnlich gepackt ist, Sie in großer innerer Erregung an und lässt ein paar unverständliche Anspielungen fallen. Um Sie aufzurichten, gibt sie Ihnen zu verstehen, dass es in dem Teil des Klosters, in dem Sie wohnen, zweifellos spukt, und macht Sie darauf aufmerksam, dass kein einziger dienstbarer Geist sich in Rufnähe aufhält. Nach diesem freundlichen Abschiedstrost knickst sie und lässt Sie allein. Sie lauschen dem Klang ihrer sich entfernenden Schritte, solange das schwache Echo zu Ihnen dringt, und wenn Sie einer Ohnmacht nahe Ihre Tür abzuschließen versuchen, entdecken Sie in zunehmender Panik, dass sie kein Schloss hat.«
»Oh, Mr. Tilney, wie entsetzlich! Das klingt ja wie in einem Roman. Aber so etwas kann mir nicht passieren. Ihre Haushälterin heißt sicher auch gar nicht Dorothy. – Ja, und dann?«
»In der ersten Nacht geschieht wahrscheinlich nichts weiter Beunruhigendes. Nachdem Sie Ihr unüberwindliches Grauen vor dem Bett überwunden haben, legen Sie sich zur Ruhe und sinken einige Stunden lang in einen unruhigen Schlummer. Aber in der zweiten oder spätestens in der dritten Nacht gibt es wahrscheinlich einen wütenden Sturm. Krachender Donner, so laut, dass er das Gebäude in den Grundfesten zu erschüttern scheint, hallt von den umgebenden Bergen wider, und während der sie begleitenden fürchterlichen Windstöße kommt es Ihnen vermutlich so vor (denn Ihre Lampe ist nicht verloschen), als ob sich die Wandbehänge an einer Stelle heftiger bewegten. Unfähig, in einem Augenblick, der so zur Erkundigung einlädt, Ihre Neugier zu unterdrücken, erheben Sie sich unverzüglich, werfen Ihren Morgenmantel um und machen sich daran, das Geheimnis zu erforschen. Nach sehr kurzer Suche entdecken Sie einen Spalt in den Gobelins, der so kunstvoll angebracht ist, dass er auch bei genauester Inspektion unsichtbar bleibt, und als Sie ihn öffnen, erkennen Sie sofort eine Tür, und diese Tür aufzumachen, die nur durch schwere Balken und ein Vorhängeschloss gesichert ist, gelingt Ihnen schon nach wenigen Versuchen, und mit Ihrer Lampe in der Hand schreiten Sie in ein kleines Gewölbe.«
»Nein, auf keinen Fall, ich wäre viel zu ängstlich, so etwas zu tun.«
»Was! Aber doch nicht, wenn Dorothy Sie darauf aufmerksam gemacht hat, dass es einen geheimen unterirdischen Gang zwischen Ihrem Zimmer und der kaum zwei Meilen entfernten St.-Antonius-Kapelle gibt. Könnten Sie einem so einladenden Abenteuer widerstehen? Nein, nein, Sie begeben sich in das kleine Gewölbe, und von da aus in mehrere andere, ohne irgendetwas Bemerkenswertes wahrzunehmen. In einem liegt höchstens ein Dolch, in einem anderen ein paar Blutstropfen und in einem dritten die Überbleibsel eines Folterinstruments. Aber da das ja nichts Außergewöhnliches und Ihre Lampe beinahe heruntergebrannt ist, kehren Sie in Ihr eigenes Zimmer zurück. Beim Durchqueren des kleinen Gewölbes allerdings bleiben Ihre Augen auf einem großen altmodischen Sekretär aus Ebenholz und Gold hängen, der Ihrer
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