Kloster Northanger
widerwärtig wie ihre Entschuldigungen hohl und ihre Forderungen unverschämt. In ihrem Namen an James schreiben – nein, aus ihrem Munde sollte James Isabellas Namen nie wieder hören.
Bei Henrys Rückkehr von Woodston berichtete sie ihm und Eleanor, dass ihr Bruder gerettet sei, gratulierte ihnen in aller Aufrichtigkeit dazu und las ihnen die wichtigsten Passagen aus ihrem Brief mit ausgesprochener Entrüstung vor. Als sie fertig war, rief sie: »Das wäre Isabella und unsere Busenfreundschaft! Sie muss mich für eine Idiotin halten, sonst hätte sie keinen solchen Brief geschrieben. Aber vielleicht hat er dazu beigetragen, dass ich ihren Charakter besser durchschaue als sie meinen. Jetzt weiß ich, worauf sie hinauswollte. Sie ist eitel und kokett, und ihre Intrigen haben keinen Erfolg gehabt. Ich glaube nicht, dass ihr an James je etwas gelegen hat, und ich wollte, ich hätte sie nie kennengelernt.«
»So wird es Ihnen mit der Zeit auch vorkommen«, sagte Henry.
»Eins kann ich trotzdem nicht verstehen. Mir ist klar, dass sie Absichten auf Hauptmann Tilney hatte, die zu nichts geführt haben. Aber ich verstehe nicht, worauf Hauptmann Tilney die ganze Zeit hinauswollte. Warum bemüht er sich so um sie, dass sie sich mit meinem Bruder zankt, und macht sich dann selbst aus dem Staub?«
»Ich kann über Fredericks Motive, soweit ich sie verstehe, wenig sagen. Er ist zwar genauso eitel wie Miss Thorpe, der wesentliche Unterschied besteht aber darin, dass er ein größerer Dickkopf ist und seine Eitelkeit ihm noch nicht geschadet hat. Wenn die
Wirkung
seines Verhaltens ihn in Ihren Augen nicht rechtfertigt, wollen wir nach der
Ursache
lieber nicht fragen.«
»Dann glauben Sie also nicht, dass ihm jemals an ihr lag?«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Und er nur so getan hat, um Unheil anzurichten?«
Henry verbeugte sich zustimmend.
»Nun, dann muss ich sagen, dass ich ihn nicht ausstehen kann. Obwohl sich für uns alles zum Guten gewendet hat, kann ich ihn nicht ausstehen. Bei Licht besehen, ist der Schaden nicht groß, denn ich glaube nicht, dass Isabella ein Herz zu verlieren hat. Aber stellen Sie sich vor, sie hätte sich Hals über Kopf in ihn verliebt?«
»Aber dazu müssen wir uns zuerst vorstellen können, dass Isabella ein Herz zu verlieren hat, infolgedessen eine ganz andere Person gewesen wäre. Und in dem Fall wäre sie auch ganz anders behandelt worden.«
»Es ist nur recht und billig, dass Sie zu Ihrem Bruder halten.«
»Und wenn Sie zu Ihrem hielten, dann würde Ihnen Miss Thorpes Enttäuschung nicht so zu Herzen gehen. Aber Sie sind durch einen unerschütterlichen Glauben an menschliche Integrität für diese Welt verdorben und deshalb den nüchternen Erwägungen von Familienparteilichkeiten oder dem Wunsch nach Rache nicht zugänglich.«
Solchen Komplimenten war Catherines Erbitterung nicht gewachsen. Frederick konnte nicht hoffnungslos schuldig sein, wenn Henry so sympathisch war. Sie beschloss, Isabellas Brief nicht zu beantworten, und versuchte, nicht mehr daran zu denken.
Kapitel 28
Wenig später sah sich der General genötigt, eine Woche in London zu verbringen, und verließ Northanger mit dem tiefsten Bedauern, dass ihn die Pflicht auch nur eine Stunde lang um Miss Morlands Gesellschaft bringen sollte, und legte seinen Kindern die Sorge um ihr Wohlbefinden und ihre Unterhaltung während seiner Abwesenheit dringend ans Herz. Seine Abreise ließ Catherine zum ersten Mal am eigenen Leibe erfahren, dass ein Verlust unter Umständen auch ein Gewinn sein kann. Voll Heiterkeit verbrachten sie ihre Zeit, jede Arbeit wurde gern getan, jedem Lachen nachgegeben, jede Mahlzeit verging unter Ausgelassenheit und guter Laune, sie machten Spaziergänge, wohin und wann es ihnen gefiel, und die Freiheit, mit der sie über ihre Zeit, ihre Vergnügungen und ihre Mußestunden verfügen konnten, machte ihr deutlich klar, welchen Zwang die Gegenwart des Generals ihnen auferlegt hatte, und ließ sie die vorübergehende Befreiung dankbar genießen. Bei so viel Ungezwungenheit und Vergnügen wurden ihr der Ort und seine Bewohner von Tag zu Tag lieber, und wäre nicht die Angst gewesen, dass es bald nötig sein würde,
sie
zu verlassen, und die Befürchtung, bei
ihm
nicht auf Gegenliebe zu stoßen, dann wäre sie jeden Augenblick des Tages wunschlos glücklich gewesen. Aber die vierte Woche ihres Besuchs war angebrochen. Bevor der General nach Hause kam, würde sie abgelaufen sein, und vielleicht empfand man
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