Klostergeist
eben die Formel der Vergebung sprechen, als der Mann gegen die Trennwand klopfte.
»Das war noch nicht alles, Pater«, sagte die Stimme, die jetzt schnell und abgehackt sprach.
»Was hast du noch auf dem Herzen?«, fragte Pius und wischte in seinem Kopf all jene verheirateten Spaichinger beiseite, die eher wortkarg waren. Dieser Sünder würde ihn noch einige Zeit von der Lektüre des Thrillers abhalten!
»Gegen das siebte, achte und zehnte Gebot habe ich auch verstoßen.« Die Worte kamen wie eine Maschinengewehrsalve durch die kleinen Löcher geschossen. Pius zuckte zusammen.
»Du willst sagen, dass du gestohlen und gelogen hast und dass du deines Nächsten Haus begehrt hast?«
Der Mann lachte. »Genau das, Pater. Und wissen Sie was? So ganz sicher bin ich mir nicht, ob ich nicht doch im Recht bin.«
Pius ging im Geiste alle verheirateten, redegewandten und als nicht ganz ehrlich bekannten Bürger der Stadt durch. Vier fielen ihm ein, die schon einmal vor dem Amtsrichter gestanden hatten, weil sie den Unterschied zwischen ›mein‹ und ›dein‹ nicht ganz so ernst genommen hatten.
»Was willst du eigentlich, mein Sohn? Dass ich dir die Beichte abnehme oder dass ich dich für dein Fehlverhalten lobe?«
Pius hörte, wie der Mann den Mund mit einem leisen Schmatzen auf- und wieder zuklappte. »Die Beichte wollte ich ablegen«, beschied er schließlich.
War da ein heiseres Timbre in der Stimme gewesen? Pius Gedanken rasten. Die einen schimpften mit ihm – Pius, es geht dich nichts an, wer dieser Mann ist! –, die anderen stachelten seine Neugier weiter an – Pius, du willst halt doch wissen, wer das ist!
Pius umklammerte seinen Rosenkranz.
»Bereust du deine Sünden?«, fragte er eindringlich.
»Meine Sünden bereue ich, alles andere … nein.« Der Mann lachte leise.
Pius klopfte nun seinerseits gegen die Trennwand. Sofort erstarb das leise Kichern.
»Also gut, Pater. Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Erbarme dich meiner, o Herr«, leierte der Mann herunter.
Pius’ Gedanken ballten sich zusammen. Wie ein feiner Nebel tauchte ein Gesicht vor ihm auf, das zu dieser Stimme gehören konnte. Dann hatte der Pater eine Idee: »Ego te absolvo a peccatis tuis in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti«, sprach er die lateinische Vergebungsformel. Etwas holpernd, denn er hatte sie seit Jahren nicht gebraucht, aber immerhin noch ohne Fehler. »Danket dem Herrn, denn er ist gütig«, schob er hinterher.
Der Mann räusperte sich und sagte dann: »Sein Erbarmen währt ewig.«
Er hatte Pius also verstanden! Fielen also alle verheirateten, redseligen Gauner ohne humanistische Bildung weg. Viele Bürger blieben da nicht mehr übrig. Pius grinste. »Der Herr hat dir deine Sünden vergeben. Geh hin in Frieden«, sagte er und bat gleichzeitig den Herrn um Vergebung für das, was er gleich tun würde.
»Ich danke Dir, Herr, für die Vergebung, die ich erfahren habe«, leierte der Mann und rappelte sich hoch. Die Holztür knarrte. Auch Pius erhob sich von seiner Bank.
»Ach, Pater, vielleicht habe ich auch das fünfte Gebot gebrochen«, flüsterte die Stimme. Dann schlug die Tür auf der anderen Seite zu.
›Du sollst nicht töten …‹ Pius stockte der Atem. Eilig wollte er die Tür aufreißen, dem Mann nachblicken. Doch der Rosenkranz glitt ihm aus den zitternden Fingern und wickelte sich um seine rechte Hand. Pius zerrte an den Holzkugeln, das schwere Kreuz schlug gegen die Tür. Der Pater griff nach der Klinke, rutschte ab, wickelte sich selbst noch weiter in den Rosenkranz ein. Pius drehte sich, so gut es ging, und drückte die Klinke mit dem Ellbogen herunter. Rasch stieß er die Tür auf und hastete in den Mittelgang. Der Mann hatte eben die Pforte erreicht und stieß das Tor auf. Seine Gummisohlen quietschten auf dem Marmorboden. Pius kniff die Augen zusammen, doch gegen das Licht von draußen konnte er nicht mehr als einen Schatten erkennen. Er wollte dem Mann hinterherrennen, doch als er den ersten Schritt getan hatte, fiel der Rosenkranz aus seiner Hand und polterte zu Boden. Pius trat auf die Kugeln und strauchelte. Er rutschte aus und konnte sich eben noch an einer Kirchenbank festhalten.
»Verzeih, Herr«, murmelte er und senkte den Kopf. »Du hast recht, ich sollte nicht so neugierig sein. Danke, dass Du mich in Deiner unendlichen Güte aufgehalten hast.« Pius ließ sich in die Bank gleiten und hob den Rosenkranz vom Boden auf. Mechanisch ließ er die Perlen
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