Klostergeist
Schlüssel ist.« Verena stützte den Kopf in die Hände, sodass ihre Haare wirr vom Kopf abstanden. Der Kajal unter ihren Augen war verlaufen und ihre Nase glänzte rötlich.
»Hm, ja, hm«, quittierte Thorben Fischer Verenas Ausführungen. Aus dem Augenwinkel heraus sah die Kommissarin, wie der Kollege aufstand und zum Handwaschbecken in der Zimmerecke ging. Fischer nestelte in seiner Anzugtasche herum und beförderte ein kleines Kästchen zutage. Ungläubig starrte Verena ihn an, als Fischer mit geübten Griffen begann, sich die Nase zu pudern. Sorgfältig tupfte er den Schwamm auf sein Riechorgan und auf die Stirn. Dann klappte er die Puderdose zu, steckte sie zurück in die Anzugtasche und beförderte eine kleine Phiole heraus.
Verena riss die Augen auf, als Thorben Fischer sich daran machte, die Wimpern zu tuschen. Offensichtlich zufrieden mit dem Ergebnis zwinkerte der Kommissar sich selbst im Spiegel zu, befeuchtete den Zeigefinger mit der Zunge und strich sich die Augenbrauen glatt. Rückte den Krawattenknoten gerade, zupfte das Einstecktuch in der Sakkotasche in Form und drehte sich zu Verena um.
»Können wir, Frau Kollegin?«, fragte er mit einem Blick auf die Uhr. »Die Pressekonferenz fängt gleich an.«
Verena stöhnte innerlich. Noch immer waren ihre Haare zerzaust. Mit einem Seitenblick in den Spiegel, die Akten unter dem Arm, hetzte sie hinter Fischer aus dem Zimmer. 45 Sekunden. Länger würde sie nicht bis in den Saal brauchen. Verena tippte auf 37. Und setzte als Wettgewinn eine Schokobanane aus. Oder sie würde auf ein süßes Teil vom Bäcker verzichten und statt dessen den Knackpopo von Thorben Fischer kneifen, denn das musste man ihm lassen, einen tollen Hintern hatte er. Verena schimpfte mit sich selbst und versuchte, sich die Haare hinter die Ohren zu klemmen. Doch ihre Frisur wollte nicht, wie sie wollte.
»Ich rede, klar?«, herrschte sie Fischer von hinten an.
Abrupt blieb der stehen. »Ja, aber …«, setzte er an.
»Ich leite die Ermittlungen. Und wenn Sie ein Dutzend Mal in der Maske waren und sich das Näschen gepudert haben!«
Fischer klappte den Mund auf und wieder zu. Verena stierte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Auf Thorbens Revers hatten sich winzige Puderteilchen breitgemacht. Verena verzichtete, ihn darauf aufmerksam zu machen. Stattdessen drängte sie sich an ihm vorbei und hastete die ausgetretenen Holzstufen nach oben.
Stimmengewirr empfing die beiden Kommissare bereits auf dem Gang. Die Tür zum Vortragsraum stand offen und als Verena Hälble, gefolgt von Thorben Fischer, den Saal betrat, stieb ihr stickige, feuchte Luft entgegen. Die Holzstühle waren bis auf den letzten Platz besetzt. Verena erkannte Mike Ritter, der sich in die erste Reihe gepflanzt hatte und mit wichtiger Miene auf seinem Stenoblock herumkritzelte. Vor dem Tisch, auf dem Schildchen mit ihrem und Fischers Namen standen, waren Mikrofone aufgebaut und ein Kameramann, das teure Filmgerät über die Schulter gewuchtet, gab dem Mädchen mit dem Puschelmikro letzte Anweisungen.
Fischer und Hälble drängten sich durch die Reihen und setzten sich. Kaum hatte Verenas Allerwertester die Sitzfläche des Stuhles berührt, herrschte mit einem Schlag absolute Stille.
»Guten Tag, meine Damen und Herren«, tönte Thorben Fischer und plusterte sich auf wie ein Kanarienvogel in der Balz. Verena stieß ihn unter dem Tisch mit ihren derben Wanderschuhen gegen das Schienbein. Fischers Gesicht verfärbte sich rosa, doch seine Miene verriet nichts. Verena, froh darum, dass der Tisch eine Verblendung bis zum Boden hatte, blickte in die Reihen.
»Das ist mein Assistent Thorben Fischer«, stellte Verena, das ›Assistent‹ deutlich betonend, vor. »Mein Name ist Verena Hälble und ich bin die Leitende Ermittlerin.«
Kugelschreiber fuhren über die Papierblöcke, der Kameramann kam einen Schritt näher, Mikrofone wurden Verena ins Gesicht gehalten. Einen Moment war sie wie geblendet von den vielen Blitzen und irritiert vom Klicken der Auslöser. Doch dann fasste sie sich und schlug die Akten auf.
»Was wir bislang wissen, meine Damen und Herren, ist Folgendes«, begann sie. Augenblicklich herrschte wieder Ruhe im Saal.
»Gestern in den frühen Morgenstunden stürzte Manfred Engel, Bürgermeister der Stadt Spaichingen, vom Turm der Kirche auf dem Dreifaltigkeitsberg. Herr Engel war laut Obduktionsergebnis sofort tot.«
»War das Selbstmord? Oder warum ermittelt die Kripo?« Ein Glatzkopf mit Schnauzbart,
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