Klostergeist
Biergeruch hing in der Luft.
Der Pater wollte eben den Lichtschalter betätigen, als seine rechte Hand zu jucken begann. Ehe er es sich versah, hatte er den Telefonhörer am Ohr und drückte die Taste für Wahlwiederholung.
›Welcome, this is Megawinn Company Monaco. We are busy for you, please wait …‹
Pius knallte den Hörer auf die Gabel, als ob das Plastikteil brennen würde. Der Pater schnalzte mit der Zunge – und endlich rutschte die Nuss zwischen den Backenzähnen heraus.
Radio Donauwelle, euer Sender für den Kreis Tuttlingen! Hallo, Nachtschwärmer, ich bin’s wieder, eure Nachteule Regina! Heute ein bisschen später, dafür ausgeschlafen.
Aus der Donaumetropole erreicht uns ein Fax von Frau Welke, deren Hund Sissi heute früh ausgebüxt war. Frau Welke bedankt sich bei allen Hörern, die nach der Pudeldame gesucht haben. Für Sissi und alle Hunde da draußen, die noch nicht im Körbchen liegen: ›Cats in the Cradle‹ von Ugly Kid Joe!
Nachdem Pius die benutzten Gläser in die auf Hochglanz polierte Küche gebracht hatte, fühlte er sich hellwach. Er wusste, dass er jetzt keine Ruhe und schon gar keinen Schlaf finden würde. Also ging er zum Hinterausgang, schnappte sich eine der Strickjacken, die dort für alle zugänglich am Haken hingen, und trat hinaus in die Nacht. Der Himmel war sternenklar und wieder einmal beglückwünschte der Pater sich selbst, dass er hier, auf dem Dreifaltigkeitsberg, leben durfte. Nur an wenigen Orten in Deutschland hatte man solch einen Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel. Pius ließ seinen Blick schweifen und erkannte die Venus, den großen Wagen. Der Mond hing als fahlgelbe Sichel am Firmament.
Mit raschen Schritten ging der Pater zur Kirche und schloss das Seitenportal auf. Die schwere Tür knarzte, als er hineinschlüpfte. Blasses Mondlicht fiel durch die Buntglasscheiben, doch Pius hätte seinen Weg auch im Stockdunklen gefunden. Behände stieg er die Holztreppe zur Empore hinauf. Schob sich hinter die Orgel und tastete mit der Hand unter den mächtigen Pfeifen entlang. Kühl fühlte er den Schlüssel unter seinen Fingern.
Verborgen hinter dem massigen Kircheninstrument befand sich jene Tür, die zum Turm führte. Von unten, von den Bänken aus, war der Zugang nicht zu sehen. Nur wenige kannten den Weg zum Turm. Pius schloss die Tür auf und folgte den ausgetretenen Stufen der Wendeltreppe nach oben. Durch eine weitere Tür trat er auf den schmalen Balkon, der rund um die Spitze führte. Hier oben blies ein eiskalter Wind. Wie kleine Nadelspitzen bohrte sich die Kälte in seine Wangen.
Pius ließ den Blick schweifen. Irgendwo dort hinten, im Dunkeln, lagen die Alpen. Unten im Städtchen waren kaum noch Lichter zu sehen. Einzig die gelben Straßenlaternen zeichneten ein Bild der Stadt, die sich schlafend ins Gelände zu kuscheln schien. Mit einem Mal aber stockte Pius – hinter den Sportanlagen war Flutlicht eingeschaltet.
»Wer spielt denn jetzt noch Fußball?«, murmelte der Pater und griff in eine Maueröffnung. Sicher verstaut in einem Lederetui lagerten die Patres hier ein Fernglas. Sie kamen gerne auf den Turm, besonders abends, wenn die rote Sonne die Gipfel der Alpen zum Glühen brachte.
Pius hielt sich das Glas vor die Nase und fixierte die helle Lichtquelle. Nein, auf dem Fußballplatz war es dunkel – das Licht kam von weiter links … von der Baustelle des Freibades. Dort, wo einst das Grottenloch gewesen war, hatten die Spaichinger kurz nach dem Krieg ein Freibad gebaut. Das allerdings war längst in die Jahre gekommen und hatte eine Sanierung dringend notwendig. Bereits zum zweiten Mal war das Bad nun eine Saison lang geschlossen gewesen, aus Sicherheitsgründen. Im kommenden Sommer sollten zwei neue Becken und Spaßrutschen wieder Badegäste anlocken.
Pius erkannte Bagger, die am Rande einer großen Grube standen. Hier würde das größere der beiden Becken entstehen. Über die Zufahrt entlang des Sportgeländes rollten drei Lastwagen heran. Pius beugte sich weiter über die Brüstung – doch als er an Engels Fall dachte, zuckte er zurück. Der Pater sog scharf die kalte Luft ein. Seine Nase begann zu kribbeln und seine eiskalten Ohren schmerzten.
Der erste Laster rollte rückwärts an die Grube. Der Fahrer sprang heraus und im selben Moment öffnete sich die Tür des Baucontainers. Ein zweiter Mann trat an die Grube. Gemeinsam schlugen sie die Plane zurück. Dann hastete der eine hinter den Container. Wenige
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