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Klostergeist

Titel: Klostergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Porath
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stellte das Glas ungelenk wieder ab. »Entschuldigen Sie, dass ich so spät noch störe.« Er hatte Mühe, die Worte zu artikulieren. Aus rot geränderten Augen sah er den Pater an.
    »Scho recht, scho recht«, murmelte Pius, der im Augenblick eigentlich nur zwei Dinge loswerden wollte – das Nussstück und den ungebetenen Gast.
    »Wissen Sie, die Situation …«, setzte Engel an. Doch er sprach nicht weiter.
    Pius nickte ihm aufmunternd zu, doch statt Worten kam ein leises Rülpsen aus dem Mund des Bankiers.
    »Und meine Frau, also, die Evelyne, also sie … wegen Manfred …«, wieder stockte Engel. Er stützte den Kopf in die Hände und fuhr sich dann durch das Haar.
    »Was ist mit Ihrer Frau?«, fragte Pius leise.
    »Und die Marlies erst!«, rief Engel und hob den Kopf. Ein kleiner Speichelfaden hing von seinen Lippen. »Die Beerdigung und die Reden und überhaupt.« Engel kniff den Mund zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Können Sie sich vorstellen, was los ist? Das Telefon steht nicht mehr still. In Stuttgart nicht, zu Hause nicht und ich frage mich, woher die Journalisten meine Mobilnummer haben.« Engel griff nach der Flasche mit dem Heilwasser und zielte damit auf sein Glas. Erstaunlicherweise traf er.
    »Bedienen Sie sich«, sagte Pius resigniert. Ihm schwante, dass der Besuch länger dauern könnte. Er unterdrückte ein Gähnen.
    »Der Manfred und ich, wir sind hier aufgewachsen. Wussten Sie, dass wir als Kinder mal beim Himbeerenklauen von Pater Ignaz erwischt wurden?« Engel kicherte, als er an die Begegnung mit Pius’ Vor-Vorgänger dachte.
    Pius kannte die Geschichte – dennoch ließ er sie sich von Engel noch einmal erzählen: Die Jungen hatten mit ihren Freunden den Wald am Fuße des Dreifaltigkeitsberges durchstreift. Beinahe jeden Nachmittag, bei Wind und Wetter, waren sie draußen unterwegs gewesen, sobald die nötigsten Hausaufgaben erledigt waren. Je älter die Knaben wurden, desto größer wurde auch ihr Radius. Und irgendwann war der Klostergarten, von dem heute nur noch ein paar Beete übrig waren, ihr bevorzugtes Revier. Hier oben, zwischen Himbeersträuchern und Salatköpfen, zwischen aufgestapeltem Holz und dem windschiefen Hühnerstall, hatten sie den idealen Ort für ihre Abenteuer gefunden. Nur … solch eine wilde Hatz macht hungrig und im Spätsommer jenes Jahres lockten die saftigen Himbeeren. Unwiderstehlich.
    Pater Ignaz dachte zunächst, diebische Vögel hätten sich an den von ihm sorgsam gepflegten Früchten gütlich getan. Doch als dann auch Karotten, Radieschen und Erdbeeren verschwanden, legte der Prior sich hinter einem Holzstapel auf die Lauer.
    »Die Maulschellen von meinem Vater waren noch das Geringste.« Engel grinste, als er an jene Tage in einem längst vergangenen Sommer dachte. »Schlimmer war’s, dass wir drei Wochen lang jeden Mittag zum Jäten und Unkrautzupfen auf den Berg mussten, während unsere Kameraden im Grottenloch geschwommen sind.«
    Pius lächelte. Zu Engels Kindertagen hatte es noch kein Freibad gegeben – ein Naturtümpel am Stadtrand lockte im Sommer die Schwimmer und im Winter die Eisläufer.
    »Damals haben wir uns geschworen, dass wir nie wieder freiwillig auf den Berg gehen würden.« Tränen stiegen dem Vorstandsvorsitzenden in die Augen. »Und nun …« Ein unterdrücktes Schluchzen drang aus der Kehle des Bankers.
    Pius streckte den Arm aus und legte dem Mann beruhigend die Hand auf die Schulter. Die Tränen rührten ihn – und doch fragte er sich, ob Engel um den Toten oder die längst verlorene Jugend weinte.
    Minutenlang saßen die Männer schweigend da. Engel hing seinen Erinnerungen nach, Pius dachte sehnsüchtig an die Zahnseide, die er in dem winzigen Bad neben seiner Zelle aufbewahrte.
    Plötzlich sprang Engel auf. »Kann ich hier mal telefonieren? Ich habe mein Handy im Auto liegen gelassen.« Schwankend hielt er sich am Tisch fest.
    »Sicher«, murmelte Pius und führte den Gast in die Pförtnerloge.
    Engel ließ sich auf den Drehstuhl plumpsen.
    Pius schloss die Tür hinter ihm und ging zurück ins Besucherzimmer, wo er einen Schluck Wasser nahm und – nun geräuschvoll – zwischen den Zähnen durchzog. Doch die Nuss war hartnäckig. Dann hörte er Schritte auf dem Gang. Das Klappen der Haustür und den Motor des Wagens. Knirschend rollten die Reifen der Limousine über den Kies. Der Pater seufzte und ging hinaus auf den Gang. In der Loge brannte noch Licht, doch der Stuhl war leer. Leichter

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