Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Programm zu sein schien,
sah ihn über den metallenen Rand ihrer Lesebrille durchdringend an. Die zwei
schmalen Lippen in ihrem farblosen Gesicht nahmen einen vorwurfsvollen Ausdruck
an, und Klotz spürte, dass er wohl wieder irgendetwas falsch gemacht hatte,
traute sich aber nicht, nachzufragen.
»Danke, aber ich habe zu tun. Melde mich in einer halben Stunde
wieder. Bis dann.«
Er verschwand so schnell, wie er gekommen war. Als er im Treppenhaus
war, spitzte er aus einem der Frontfenster nach unten auf den Haupteingang. Das
Knäuel aus Medien- und Presseleuten stand in einem Halbkreis um Huber herum,
der, offensichtlich um einen offiziellen Eindruck bemüht, heute sogar seine
Polizeimütze trug. Neben ihm stand Staatsanwältin Gulden, die gerade etwas in
das riesige Mikro der Fernsehleute hineinsprach. Klotz beschlich irgendwie ein
ungutes Gefühl. Er ging schnell zurück in seine Abteilung.
Wenn er noch mal Fröhlings Vernehmungsprotokolle anhören wollte,
dann brauchte er ein funktionierendes Abspielgerät, dachte er. So etwas würde
er bei Haevernick und Zebisch finden, da war er sich ziemlich sicher. Er
öffnete die Tür zu deren Büro und erstarrte für einen Moment. Wahnsinn! Wie
sauber und ordentlich das hier aussah. Also, von mir haben die das nicht,
dachte er weiter, während er nach dem ersehnten Rekorder suchte und ihn endlich
fand.
Zurück in seinem Büro rauchte er erst mal eine Zigarette. Sah aus
dem Fenster, hinein in die tiefe, graue Wolkendecke, und musste an gestern
Morgen denken und an diese Beschwingtheit, die er da gefühlt hatte. Er musste
beinahe lächeln, so fern und unwirklich kam ihm das jetzt vor. What a
difference a day made. Twenty-four little hours …
Er nahm die Kassette mit dem ersten Vernehmungsprotokoll aus dem
Ordner, legte sie in das Abspielgerät, setzte die Kopfhörer auf und drückte auf
»Play«.
Nach etwa zwei Minuten fiel ihm etwas Seltsames auf. Komisch. Was
machte dieses Klingeln da im Hintergrund? Er öffnete die Augen, sah auf den
Telefonapparat, der vor ihm auf dem Schreibtisch stand, und bemerkte die kleine
rote Leuchtdiode, die unruhig vor sich hin blinkte. Er schob den Kopfhörer von
den Ohren und hob das Telefon ab.
»Verdammt noch mal! Wo bist du, zum Teufel? Kannst du vielleicht mal
dein Handy einschalten? Und warum gehst du zu Hause nicht ran? Weißt du
überhaupt, wie oft ich versucht habe, dich zu erreichen?«, donnerte Escherlich
seinen Vorgesetzten an.
Klotz hielt dem Ficus Benjamini den Hörer hin. Sollte der sich doch
Escherlichs Gebrüll anhören.
»Hallo? Bist du noch da?«
»Was hast du gesagt?«, antwortete Klotz nach einer kurzen Pause.
»Jetzt beweg deinen Arsch hierher! Sofort!«
»Wo seid ihr denn überhaupt?«
»Stadtpark. Zwischen Schillerdenkmal und Berliner Platz.«
»Lass mich raten. Zwei Kollegen. Doppelmord.«
»Wenn du schon alles weißt, warum bist du dann noch nicht hier?«
Escherlich hatte aufgelegt, ohne eine Antwort auf seine Frage
abzuwarten. Klotz, der gerade seine Zigarette ausdrückte, wurde irgendwie
mulmig.
Scheinbar geistesabwesend blickte Klotz zu Haevernick und Zebisch
hinüber, die zwei überforderten Streifenpolizisten dabei halfen, den permanenten
Strom von Gaffern abzuwehren, der auf das rot-weiße Absperrband zubrandete.
»Kannst du das noch einmal wiederholen?«, sagte Klotz zu einem
frisch rasierten Escherlich und ließ seine Zigarettenkippe auf den Boden
fallen.
»Was?«
»Die beiden Namen.«
»Barnikol und Kaumann. Sag mal, hörst du schlecht? Und überhaupt,
was macht die Kippe hier am Boden? Das ist ein Tatort!«
Escherlich drehte sich um und stapfte wütend zu den
Kriminaltechnikern, die damit beschäftigt waren, den Einsatzwagen zu
untersuchen. Fotoapparate blitzten auf, mit Hilfe von Pinseln wurde
Graphitstaub an den Lack des Autos getupft. Laanschaf, der vor dem Fahrzeug
kniete, stocherte mit einem skalpellartigen Gegenstand in einem Reifenprofil
herum.
Schemenhaft konnte Klotz die Gesichter der beiden Toten durch die
Windschutzscheibe erkennen. Der Kopf des Fahrers war nach hinten geknickt und
an die Säule zwischen vorderem und hinterem Seitenfenster gelehnt. Der andere
war mit seinem Oberkörper zu seinem Kollegen hinübergekippt. Sein Kopf lag auf
der Schulter des Fahrers, was dem Ganzen beinahe etwas Anheimelndes gab.
Plötzlich roch er etwas, was ihm bekannt vorkam. Eine Sekunde später
erfasste er aus dem Augenwinkel auch schon Lackners grinsendes Profil.
»Nur zwei Schüsse,
Weitere Kostenlose Bücher