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Klotz, Der Tod Und Das Absurde

Titel: Klotz, Der Tod Und Das Absurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Klier
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aus nächster Nähe. Direkt in den Kopf. Sie
dürften nicht viel gespürt haben. Also, wenn du mich fragst, war das ein
Profi.«
    »Todeszeitpunkt?«, fragte Klotz und ging einen Schritt zur Seite.
    »Mitternacht, plus/minus eine Viertelstunde.«
    Klotz’ Blick fiel auf Escherlich, der gerade sein Handy aus der
Jacke genommen hatte und jetzt mit irgendjemandem telefonierte. Es fiel ihm
schwer, seine Gedanken zu ordnen, und er drehte sich in Richtung Berliner
Platz, zu der mächtigen Kirche, hinter deren gedrungenen Türmen graue Wolken
vorbeizogen.
    »Dreiundzwanzig Uhr fünfundfünfzig«, murmelte Klotz, »dreiundzwanzig
Uhr fünfundfünfzig war es, als ich hier gestern vorbei bin. Hab ja noch auf die
Uhr gesehen. Und nichts bemerkt.«
    Klotz wollte gehen, doch Escherlich hatte ihn gerade noch gesehen,
als er um die Ecke bog. Jetzt fasste er seinen Kollegen an der Schulter.
    »Werner! So geht das nicht!«
    »Wieso? Was soll ich noch hier?«
    »Stopp, halt! Also, das wird dir gar nicht gefallen, was ich dir
jetzt mitzuteilen habe. Ich habe gerade mit Huber telefoniert. Er und die
Gulden haben mir die Leitung dieses Falles übertragen.«
    »Kannst du das noch einmal wiederholen?«, sagte Klotz ungläubig.
    »Jetzt sei nicht eingeschnappt. Ist das ein Wunder? Du kommst viel
zu spät, du meldest dich nicht bei deinen Vorgesetzten. Du gehst nicht ans
Telefon. Was machst du überhaupt die ganze Zeit, Mann?«
    »Ich hab mich um den Fall gekümmert. Was sonst?«
    »Welchen Fall?«
    »Fröhling. Ich wollte noch mal mit ihm sprechen, ich glaube nämlich,
dass …«
    »Fröhling? Die Sache ist erledigt, Mann! Schluss, aus, Äpfel, Amen!«
    Klotz drehte sich um.
    Er war wieder zurück ins Präsidium gegangen. Ratlos starrte er auf
den Computerbildschirm. Das Puzzle ist völlig zerstört, dachte er. Es war an
keiner einzigen Stelle je richtig zusammengesetzt worden. Er starrte immer noch
auf das Grinsen von Polizeiobermeister Torben Barnikol und dessen Kollegen
Polizeihauptmeister Friedrich Kaumann.
    Es war der gleiche Computer, das gleiche Programm, das gleiche
Netzwerk. Der einzige Unterschied war der, dass Kaumann und Barnikol vor acht
Tagen in der polizeiinternen interaktiven Personendatei noch nicht existiert
hatten. Jetzt, wo sie ganz zweifelsfrei alles andere als lebendig waren, waren
sie plötzlich existent. Und zwar als zwei ganz gewöhnliche Streifenbeamte mit
tadellos weißer Weste und spießbürgerlichem Durchschnittslebenslauf. Es war
nicht zu fassen.
    Erst als die Zigarette Mittel- und Zeigefinger so verbrannte, dass
es wehtat, merkte Klotz, dass wenigstens er kein Phantom war, sondern noch aus
Fleisch und Blut bestand, auch wenn er sich im Moment nicht so fühlte.
    In seinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. »Erst ordnen,
dann nachdenken!«, hatte Biro immer gesagt. Klotz nahm sein Notizbuch zur Hand.
Schlug eine neue Seite auf und überschrieb sie mit Biros Binsenweisheit. Das
Schwierigste ist es, ihnen zu folgen, diesen Binsenweisheiten, dachte er und
beschloss, sich an Biros Motto zu halten, ganz egal, welche Assoziationen sich
aufdrängen würden.
    Er legte das Buch quer vor sich und zog eine Linie, die das Blatt in
drei gleich große Spalten teilte. Überschrieb die Spalten mit »Tatkomplex 1«
und »Tatkomplex 2«. Dann trug er die Namen der Opfer in chronologischer Abfolge
ein:
    Erste Spalte: Bogendorfer (1, 2006), Gummler (2, 2006).
    Zweite Spalte: Morvan (1, 1988), Schulze (2, 1988), Barnikol und
Kaumann (3 u. 4, 2006).
    Er legte den Kugelschreiber beiseite. Während er an dem kalten
Kaffee nippte, überlegte er, ob er nicht irgendetwas vergessen hatte. Noch
einmal ging er die Namen durch, doch ihm fiel nichts weiter ein. Ihm war völlig
bewusst, dass die Grundvoraussetzung, unter der er die vor ihm liegende
Aufstellung vorgenommen hatte, reine Spekulation war.
    Er erinnerte sich wieder an die Fahrt zum Hotel Pyramide. Die
Pyramide. Das Zeichen. Das Briefpapier für die Abschiedsbriefe. Der Rohbau des
Hotels, der 1988 stand. Das Foto mit dem Venenschnitt am Unterarm. Elisa
Morvan. Britta Lohofer, deren Pulsadern postmortal aufgeschnitten worden waren.
    Das Puzzle musste zusammengesetzt werden, es musste einen Sinn
ergeben.
    Wo lagen die Gemeinsamkeiten der Todesfälle von Tatkomplex 1? Was an
ihnen war problematisch? Sie waren inszeniert. Diese absurden Inszenierungen
als Selbstmord, der keiner war.
    Er nahm die Zigarette aus dem Mund. Dann notierte er in Spalte eins:
»Mord oder Selbstmord

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