Klotz Und Der Unbegabte Moerder
der Betroffenen so unerträglich machte, dass in den Trauernden ein Damm brach, aus dem es dann heraussprudelte. Bei Frau Cordes hatte Klotz nicht viel unternehmen müssen, genau genommen gar nichts. Die Wunde, die die Mutter in sich trug, war ja noch frisch. Klotz beschränkte sich also aufs Zuhören. Neue Informationen und Einsichten den Fall betreffend würden kommen, oder auch nicht.
Frau Cordes erzählte von Lindas Erfolg in der Schule. Wie sie als Einzige ihres Seminars aufgrund ihrer vorbildlichen Noten sofort eine Stelle als Studienrätin erhalten hatte. Sie war fleißig gewesen, aber es hatte auch Unterstützer gegeben, das wollte die Mutter gar nicht verhehlen. Allen voran der stellvertretende Direktor, Herr Spielmann. Er hatte sie ganz besonders unter seine Fittiche genommen. Hatte ihr großes Potenzial zur Entfaltung gebracht.
Plötzlich fing Frau Cordes an, auf Paul, den Ehemann ihrer Tochter, zu schimpfen. Sie nannte ihn einen Schmarotzer und Nichtsnutz. Klotz war einigermaßen überrascht von dem gedanklichen Sprung, ging aber davon aus, dass sich der Zusammenhang schon klären würde. Als sich die Frau allzu sehr in eine tief empfundene Ablehnung dem Schwiegersohn gegenüber hineinsteigerte, dachte der beurlaubte Hauptkommissar einen Moment lang darüber nach, ob er nicht nachfragen und sein Gegenüber auf diese Weise wieder in die Spur bringen sollte. Getreu seinen Prinzipien ließ er es dann aber sein und hoffte auf Besserung.
»Dieser Schmierenjournalist! Dass sie den geheiratet hat! Und dann hat der auch noch Lindas guten Namen angenommen, das muss man sich mal vorstellen! Wissen Sie, wie der vorher geheißen hat? Klötenmaier! Klötenmaier war dem sein Name! Na, kein Wunder!«
Klotz erinnerte sich an Paul Cordes’ degenerierte Spermien, und er fragte sich, ob es für die Fruchtbarkeit des Schreiberlings nicht besser gewesen wäre, wenn er seinen Geburtsnamen behalten hätte. Aber das war ja Humbug, das war magisches Denken der allerübelsten Sorte.
Plötzlich änderte sich der Ton in Frau Cordes’ Stimme. Sie klang mit einem Mal beinahe andächtig.
»Es hat halt nicht geklappt, wissen Sie. Das mit Lindas großer Liebe. Deshalb hat sie dann den Paul genommen. Er hat sie verehrt, hat sie vielleicht sogar geliebt, und deshalb hat sie ihn dann genommen, so wie man eine milde Gabe annimmt. Für sie war es einfach eine Notlösung. Sie war so maßlos enttäuscht darüber, dass Daniel …«
Frau Cordes geriet ins Stocken. Klotz spürte, dass das Gespräch an einem kritischen Punkt angelangt war. Jetzt musste er seine ursprüngliche Strategie ändern und eingreifen.
»Daniel?«
»Daniel Spielmann.«
»Studiendirektor Spielmann?«
»So ist es. Ein Jahr nachdem wir aus Buenos Aires nach Deutschland gekommen waren, haben sich Linda und Daniel kennengelernt. Hier auf dem Gymnasium in Haßfurt. Linda war sechzehn und seine Schülerin. Dass er fast zwanzig Jahre älter war, hat sie nicht gestört. Anfangs hatten mein Mann und ich Bedenken, aber die zerstreuten sich schnell, als wir sahen, was für ein adretter, aufrechter Mensch Daniel war. Und die beiden waren ja so verliebt ineinander. Wir waren überzeugt, dass sie heiraten würden.«
»Und warum kam es nicht dazu?«
Frau Cordes blickte auf und sah Klotz fest in die Augen.
»Die Sache kam natürlich ans Licht. Ein Lehrer und eine Schülerin. Missbrauch von Schutzbefohlenen nennt das unser Rechtssystem. Daniel wurde strafversetzt, nach Nürnberg. Seine Karriere schien am Boden, doch dann lernte er auf einer Fortbildung in München eine Ministerialrätin aus dem Kultusministerium kennen. Sie war nicht nur erfolgreich, sondern stammte zu allem Überfluss noch aus begütertem Elternhause. Da zog dann Linda den Kürzeren. Was soll ich noch sagen?«
»Und wie hat Linda das verkraftet?«
»Ja, ich weiß auch nicht. Eigentlich ganz entspannt. Sie nahm die Sache lockerer, als ich dachte. Machte brav ihr Studium in Erlangen. Nach dem Referendariat bewarb sie sich an die Schule, an der auch Daniel unterrichtete. Das wissen Sie ja, Sie sind ja auch auf dem Morlock.«
»Sie meinen, dass obwohl Daniel Spielmann eine andere geheiratet hatte, er und ihre Tochter weiterhin ein freundschaftliches Verhältnis pflegten?«
»So muss es wohl gewesen sein. Sie hat dann ja auch einen Mann gefunden.«
Klotz fuhr sich über die Stirn und räusperte sich.
»Oder«, versuchte er es vorsichtig, »kann es vielleicht sein, dass die ganze Zeit über, auch nachdem
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