Knallhart nachgefragt - populaere Irrtuemer entlarvt & aufgedeckt
ohne jeden Zweifel, an AIDS leiden würde. Der Test wäre eindeutig. Sie dachte noch einmal an diese Diagnose zurück, die ihr der Doktor gegeben hat, während sie durch die beschlagenen Zugscheiben hinaus auf die vorbei ziehende Landschaft starrte. Sie war wieder auf dem Rückweg in Richtung Heimat, in Richtung Kanada. Ihre Au Pair Familie hatte sie gestern, als sie vom Krankenhaus zurück kam, bereits erwartet und wollte ebenso bestätigend wissen, dass sie einer Fehldiagnose beim ersten Mal aufgesessen ist. Doch als sie denen berichtete, was sie soeben erfahren hat, nämlich dass sie tatsächlich HIV positiv wäre, ging alles ganz schnell. Plötzlich hatte es für Mary Ann den Anschein, dass sie unter etwas "Ansteckendem" leiden muss, denn sofort nach dieser Nachricht gingen beide einen Schritt zurück, als sei es einstudiert worden, so synchron schien es und heuchelten Bedauern. Aber leider könne man, das müsse sie verstehen , angesichts dieses Risikos nicht weiter die Kinder von ihr betreuen lassen. Das sei nicht böse gemeint, wirklich nicht , das müsse sie verstehen. Es gehe doch um die Kinder und um das mögliche Risiko. Man stelle sich nur vor, es passiert etwas... In diesem Moment fühlte sich Mary Ann wie eine Aussätzige. Befremden, Angst und nicht zuletzt Wut stiegen in ihr auf. Ja, sie konnte es verstehen. Doch deshalb so kurz vor dem Weihnachtsfest alles abbrechen, als hätte sie nie dazu gehört? Wird man automatisch mit diesem Virus zu einem Menschen abseits der Gesellschaft? Sie bekam nicht einmal mehr die Gelegenheit, sich persönlich von den Kindern zu verabschieden, die sie in den vergangenen Monaten in ihr Herz geschlossen hat und von denen sie sich nicht nur akzeptiert, sondern geliebt fühlte. Es war so, als nahm man ihr die eigenen Babys weg, als man verlangte, sie solle noch am selben Abend ausziehen. Selbstverständlich bezahle man ihr die Zugfahrt zurück und auch das Hotel für diese Nacht, nur bitte, sie solle verstehen, es sei nichts gegen sie, es sei nur wegen der Kinder. Man schob die Kinder als Begründung vor, um sich selbst eines " Übels " zu entledigen, mit dem man nicht umzugehen wusste und welches die so sorgsam aufgebaute Idylle zerstören könnte.
Der Zug ließ die winterlichen Landschaften vorbei rauschen, doch Mary Ann konnte sich nicht wirklich daran erfreuen. Jeder Meter, den sich der Zug vorwärts bewegte kam sie einen Meter näher an ihre Heimat heran. Wie es ihrer eigenen Familie beibringen? Wie es den Freunden und den Bekannten, dass sie entgegen ihres Vorhabens bereits mehrere Monate zu früh aus den USA heim kam und nicht wieder zurück ging. Der eigenen Familie hatte sie am Telefon noch nichts gesagt, nur, dass sie zurück kommen werde und den Rest bespräche man später persönlich. Es werden harte Tage und Wochen auf sie zukommen und jedes Mal würde sie an diese Diagnose erinnert werden und daran, dass von jetzt an die Zukunft nicht mehr in weiter Ferne liegt, sondern es sich lohnt, für jeden neuen Tag dankbar zu sein. Selbst wenn dies etwas mehr Schwarzmalerei war, so nahm sich Mary Ann vor, ihrem Leben nach diesem Schock eine andere Qualität zu geben.
***
Es war ein Weihnachtsfest, welches in der Erinnerung Mary Anns das vermutlich deprimierendste war, das sie jemals erlebt hat. Bei ihr selbst und ihrer Familie kam angesichts dieses Schocks einer mit Sicherheit den Tod bringenden Diagnose kaum weihnachtliche Stimmung auf. Das Fest der Liebe und des Friedens – für Mary Ann ein Zusammensein mit der Familie und die Suche nach Trost und Geborgenheit. Hier zeigte man Verständnis, anders als die Familie in New York, bei deren Kindern sie jetzt eigentlich sein sollte. Hier fühlte sie sich geborgen und warm. Zu Hause.
Man verabredete, dass die Eltern Mary Anns mit ihr gemeinsam nach den Festtagen zu einem befreundeten Arzt gehen würden, um eine optimale Therapie und Medikamente zur Eindämmung des Virus zu erhalten. Zwar hatte sie nicht mehr den Luxus der privaten Krankenversicherung, doch dafür stand man dem Arzt ohnehin nahe, sodass man dessen Rat vertrauen konnte. Jetzt musste nach Vorn geblickt werden und gelernt werden, mit einer solchen Diagnose zu leben. Die vergangenen Wochen und Tage konnten den Schock zu einem Umstand reduzieren, der jetzt ein Bestandteil des Lebens wurde, den man akzeptierte.
Die erste Woche des neuen Jahres war gekommen und man vereinbarte bei dem Arzt der Familie den Termin für Mary Ann. Gemeinsam
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