Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
die von innen verschlossen war, ist lose. Wer ihn entfernt, kann durchgreifen und die Tür von innen verschließen. Also doch Mord?
Der Chef blinzelte ebenfalls ein paarmal, fragte Jenny, ob sie schön häufiger Post vom Geist der Wahrheit bekommen habe, und wiegte den Kopf hin und her.
»Haben Sie die Wohnung schon wieder freigegeben?«, fragte der Chef.
Jenny nickte.
»Trotzdem, fahren Sie mal hin und schauen Sie, ob es stimmt, was hier steht. Dann öffnen wir die Akte wieder.«
Ich traute der verknallten Jennymaus keine zwei Meter weit, daher simste ich Birgit an. Sie hatte noch nicht gefrühstückt, erklärte sich aber bereit, zu der von mir angegebenen Adresse zu fahren und Jenny dort zu treffen.
Dann bist du ein Kollege von Gregor? , fragte sie wieder.
Ich grinste. Diese Frau war wie ein Pitbull. Wenn sie sich einmal in etwas verbissen hatte, ließ sie nicht mehrlos. Genau so jemanden brauchte ich, um Gregors Haut zu retten.
So ähnlich, simste ich zurück.
Bin unterwegs , antwortete Birgit.
Ich beobachtete, wie sie schnell einen Espresso kippte und eine Schüssel Müsli inhalierte, ihre Tasche mit Keksen, Rosinen, getrockneten Aprikosen und Mangoschnitzen, kandiertem Ingwer, Walnüssen, zwei Äpfeln und einer ganzen Rolle Traubenzucker bestückte, damit sie die halbe Stunde bis zum nächsten Bäcker überbrücken konnte, und sich in ihr Cabrio setzte. Heute blieb das Verdeck geschlossen, denn nach dem Gewitter der letzten Nacht hatte sich das Wetter noch nicht wieder beruhigt. Es nieselte.
Birgit und Jenny kamen fast gleichzeitig vor Paulinas Haus an. Jenny traute ihren Augen kaum.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie.
Für mich klang ihre Stimme unentschlossen, ob sie nun überrascht, erfreut oder genervt sein sollte.
»Ich bin hierherbestellt worden«, sagte Birgit.
»Vom Geist der Wahrheit?«, fragte Jenny.
Birgit nickte grinsend. »Du auch?«
Jenny stieg die Treppe hinauf, Birgit schwitzte hinterher. Sie musste mindestens fünf Pausen einlegen und war trotzdem völlig außer Atem, als sie oben ankam.
»Und jetzt kommt der Moment der Wahrheit«, sagte Jenny. Während sie ein Paar dünne Schutzhandschuhe überstreifte, erläuterte sie Birgit den Fall und die Fragestellung. Dann öffnete Jenny die Speichertür einen Spalt breit und fasste vorsichtig von beiden Seiten an den Glaseinsatz in der Speichertür. Er klapperte.
»Sitzt lose, aber nicht … Hoppla!«
Jenny hielt den Glaseinsatz in den Händen. »Kannst du mir den mal abnehmen?«
Birgit war clever genug, erst ein Taschentuch aus den Tiefen ihrer Tasche hervorzuzaubern, dann griff sie zu. Sie stellte das Glas in eine Ecke des Absatzes und wandte sich wieder der Tür zu. Der Glaseinsatz war mit einer Art Kitt befestigt gewesen, der sicher einige Jahrzehnte auf dem Buckel hatte. Er war porös und an einer kompletten Längsseite mit einem scharfen Messer sauber abgeschnitten. Birgit hatte das ebenfalls bemerkt und pfiff leise. Dann zeigte sie Jenny die Stelle, die ein Foto mit ihrem Handy schoss.
Jenny schloss die Tür und steckte den rechten Arm durch das Fensterloch. Sie versuchte, bis ans Schloss zu reichen, kam aber nicht ganz hin.
»Hast du längere Arme?«, fragte sie Birgit.
Auch bei Birgit reichte die Armlänge nicht.
»Okay, war eine gute Idee, funktioniert aber nicht«, sagte Jenny und zog ihre Handschuhe aus.
»Moment«, murmelte Birgit.
Ich hielt die Luft an. Der Pitbull in Birgit hatte eine Spur aufgenommen. Sie öffnete die Tür zum Speicher und stellte sich unter den Dachbalken, den Jenny ihr zeigte. »Hier hing sie.«
Birgit sagte einige Sekunden nichts, dann watschelte sie zurück auf den Treppenabsatz, kramte in ihrer Tasche herum und verdrückte in Windeseile drei riesige Kekse. Jenny lehnte ab.
»Wenn ich eine Frau an den Balken hängen wollte, bräuchte ich eine Leiter«, sagte Birgit.
»Lag unter ihr«, erklärte Jenny.
»Eine eigene«, nuschelte Birgit um zwei getrocknete Aprikosen herum. »Auf der einen Leiter steht ja die Frau … Sie stand doch selbst, oder? Alles andere wäre ja auch sehr, sehr schwierig.«
Jenny blickte ratlos. »Ja. Sie hatte Schlafmittel eingeworfen,davon war sie bestimmt ziemlich benebelt. Aber der Obduktionsbefund sagte aus, dass sie noch genug Muskelspannung hatte, um zu stehen.«
Zwei Walnusshälften fanden den Weg zwischen Birgits weiße Zähne. »Okay. Ich habe also ein leicht betäubtes Opfer, das aber immer noch aus eigener Kraft steht. Das bedeutet, ich brauche
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