Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
Nachwuchs verbrachte, sollte er in der Lage sein, das Kind, mit dem er zusammenlebte, zu erkennen. Weiz inszenierte also die Beerdigung seiner eigenen Tochter, obwohl er wusste, dass nicht sie es war, die in der glänzenden Kiste lag. Langsam aber sicher freute ich mich darauf, den Grund dafür zu erfahren.
Rund um die Grube standen Blumengestecke in unglaublicher Fülle, die meisten mit Blumen in Rot und Weiß, manche in Rosatönen und alle mit vielen Schleifen und Rüschenkram. Eine ganze Schar Perlhühner in Lilas Alter stand mit Teddybären im Arm an einer Ecke zusammen und schluchzte im Gleichtakt.
»Sie können den Sarg wieder heraufholen und sich alle weiteren Zeremonien sparen«, sagte Jennymaus laut und mit deutlich hörbarer Wut in der Stimme. »Das Mädchen im Sarg ist nicht Lila Weiz. Herr Weiz hat Sie alle belogen.«
Diejenigen, die heulten, legten einen kurzen Stopp ein und heulten dann noch lauter, die Schweigsamen schwiegen weiterhin und nur ein kleines Grüppchen weiter hinten in der Menge fing an zu tuscheln.
»Was fällt Ihnen ein«, zischte eine Frau, die neben Weiz stand und deren Anblick mich glauben ließ, ich sei im falschen Film gelandet. Genauer gesagt: Im falschen Ballerspiel. Ich blickte in die riesigen, runden Augen des Moorhuhns. Für die, die das Moorhuhn nicht kennen: Es hat Augen wie Billardkugeln mit einem kleinen schwarzen Punkt in der Mitte. Das hier anwesende lebensgroße Modell hatte noch eine starke Hornbrille davorgehängt, welche die eiskalt starrenden Pupillen erschreckend vergrößerte. Die schnabelförmige Nase, die hängenden Mundwinkel und die kammgleich aufgeplusterte rote Dauerwelle ergänzte geradezu gespenstisch das Bild. Ichmusste mich förmlich wegreißen vom Anblick dieser Erscheinung.
»Herr Weiz …«, sagte Jenny in die durch Hintergrundtuscheln untermalte Stille hinein.
»Herr Weiz ist nicht zu sprechen«, erklärte das Moorhuhn. Der Kehllappen zappelte im Takt. »Sie stehen am Grab seiner …«
»Eben nicht!«, keifte Jenny. »Herr Weiz verscharrt hier gerade Maureen Micaela Kerkenbosch unter falschem Namen und ich will, verdammt noch mal, wissen, warum!«
Jetzt hatte auch Jenny eine Kampfhuhnhaltung eingenommen. Da ertönte die leise Stimme des trauernden Vaters: »Lass gut sein, Mutter.«
Der Moorhuhnkopf zuckte herum, der Kehllappen flatterte, aber das zu erwartende Gegacker fiel aus, während Weiz sich aus der Gruppe löste und Jenny mit einem knappen Kopfnicken grüßte.
»Gehen wir ein paar Schritte.«
Er wartete weder auf eine Antwort noch achtete er darauf, ob Jenny ihm folgte, sondern ging einfach los.
Weiz ging Richtung Friedhofskapelle und hielt den Kopf gesenkt. Jenny wurde vom Pfaffen angesprungen, der wissen wollte, was denn, bitte schön, hier los sei, noch nie habe ihn jemand mitten in einer Beerdigung unterbrochen … Jenny hielt ihm ihren Ausweis unter die vor Aufregung beschlagene Brille und befahl ihm, die Trauergemeinde zu beruhigen, ansonsten aber das Grab und alles Drumherum so zu lassen, wie es gerade sei. Dann folgte sie Weiz.
»Wie haben Sie das Mädchen genannt?«, fragte Weiz, als Jenny ihn einholte.
»Maureen Micaela Kerkenbosch. Kennen Sie sie?«
Weiz schüttelte den Kopf.
»Woher hatte das Mädchen Portemonnaie und Schülerausweis Ihrer Tochter?«
»Keine Ahnung.«
»Warum haben Sie gelogen?«
Weiz fuhr sich mit der Hand durch die Haare, seufzte leise und schüttelte dann den Kopf.
»Herr Weiz?«
»Ich kann Ihnen das jetzt nicht erklären.«
»Sie hätten das fremde Mädchen tatsächlich in dieses Grab gelegt und damit deren Eltern für immer im Ungewissen gelassen?« Jennys Stimme war anzuhören, wie unfassbar sie diese Vorstellung fand.
»Werden Sie Anzeige erstatten?«, fragte Weiz in einem sachlichen Tonfall.
»Ich will Antworten«, sagte Jenny scharf.
»Die kann ich Ihnen nicht geben.«
»Wissen Sie, wo sich Ihre Tochter aufhält?«
Schweigen.
Jenny war immer noch sauer, aber inzwischen hatte sie wenigstens ihre Stimme wieder so weit unter Kontrolle, dass sie nicht mehr klang wie eine hysterische Zwölfjährige. »Werden Sie bedroht? Haben Sie Angst um Ihre Tochter? Ist das der Grund dafür, dass Sie sie offiziell verschwinden lassen wollen?«
Schweigen.
»Oder haben Sie sich gestritten? Wollten Sie Ihrer Tochter damit klarmachen, dass sie für Sie gestorben ist?«
»Ich kann Ihnen keine Antwort geben«, sagte Weiz.
Jenny sackte in sich zusammen.
Tja, was jetzt, liebe Jennymaus?
Das schien
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