Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
über den Anwalt der Familie regeln würden«, sagt Herr von Lell und hält dem Calabretta eine Visitenkarte hin. Rausschmiss.
»Wir müssen Ihnen leider noch ein paar Fragen stellen«, sagt der Calabretta.
Herr von Lell nickt und überkreuzt die Beine.
Der Calabretta stellt die üblichen Fragen nach Freunden und Feinden, ob Hendrik sich in letzter Zeit verändert hätte und mit wem er gestern Abend wo unterwegs gewesen sein könnte. Herr von Lell sagt zu alldem nur:
»Mein Sohn und ich hatten keinen guten Kontakt zueinander.«
»Aber er hat doch hier gewohnt?«, frage ich.
Herr von Lell nickt. Meine Güte. Wie muss das sein, mit dem unter einem Dach zu leben. Da hab ich doch lieber keinen Vater als so einen.
»Vor einem halben Jahr hat eine junge Frau Ihren Sohn wegen versuchter Vergewaltigung und Körperverletzung angezeigt«, sage ich.
»Die Ermittlungen wurden eingestellt«, sagt er, und plötzlich sieht er aus wie eine Eidechse. Schmallippig und trocken.
»Ich weiß«, sage ich, »aber ich wüsste gerne, was Sie von der Sache halten.«
»Alles Blödsinn«, sagt er. An seiner Schläfe tritt eine Ader hervor. Die Ader pocht, und das ist mit Abstand die heftigste Reaktion, die ich bisher von ihm gesehen habe.
»Ich würde Sie bitten«, sagt er, »auch das mit unserem Anwalt zu besprechen. Darf ich Sie jetzt hinausbegleiten?«
Eindeutiger Rausschmiss.
»Nicht nötig«, sage ich, »wir finden die Tür.«
Als wir wieder draußen sind, spüre ich, wie meine Schultern sich entspannen und wie die frostige Starre in meinem Nacken sich langsam auflöst.
»Das war knapp«, sagt der Calabretta.
»Verdammt knapp«, sage ich.
Um ein Haar wären wir erfroren.
Ich zünde mir eine Zigarette an.
»Haben wir noch Zeit für einen schnellen Kaffee?«, fragt der Calabretta.
Meine Uhr sagt: Nein. In fünfzehn Minuten ist Pressekonferenz im Präsidium.
Meine innere Leopardin sagt: »Das schaffen wir.«
*
In der Mitte sitzt unser Pressesprecher, links von ihm sitzt der Calabretta, rechts sitze ich, auf den Stühlen davor sitzen die Herrschaften von der Presse. Wir sind fast durch mit der Nummer. Ich hab das Gefühl, dass alle Fragen gestellt sind.
»Dann war’s das?«, fragt unser Pressesprecher und schaut in die Runde.
Mir brummt der Schädel. Ich muss dringend an die frische Luft, eine rauchen.
In der dritten Reihe, auf dem vierten Stuhl von links sitzt ein dünner Typ in einem merkwürdigen Achtziger-Jahre-Look. Er trägt ein helles Jackett mit Schulterpolstern, eine zu hoch sitzende Jeans und so eine Art Holzfällerhemd. Er meldet sich. Och nee.
»Gunnar Steiss, vom Bergedorfer Tageblatt«, sagt er.
»Ja, bitte«, sagt unser Pressesprecher.
Der Typ schiebt mit dem Mittelfinger seine Brille ein Stück hoch, so wie Leute ihre Brille hochschieben, die das nicht machen, um besser zu sehen, sondern, um darauf hinzuweisen, dass sie eine Brille tragen. Dass sie wichtig sind. Dann streicht er sich mit der linken Hand die Haare aus dem Gesicht, auch die sind ein verwirrendes Relikt aus dem modisch schlimmsten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts. Blond und flusig, und in der Mitte fallen sie in einer Art Poposcheitel auseinander. Alles in allem erinnert er mich ein bisschen an Robin Gibb. In der rechten Hand hält er einen Stift, den er im gleichen Moment, in dem er sich die Haare zurückstreicht, etwas anhebt, und irgendwie macht der hier eine Riesenwelle, bevor er endlich anfängt, seine Frage zu stellen:
»Frau Riley, mich würde interessieren, hier bei uns in Norddeutschland, wie es sein kann, dass Sie, wo Sie doch zur Hälfte Amerikanerin sind, ist es da nicht wieder und wieder be- und erdrückend, wenn sich zuvorderst der ungeschlacht faulige Bodensatz der Gesellschaft offenbart, hier bei uns in Norddeutschland, sollte man da nicht als Staatsmacht eingreifen und derart mahnend den moralischen Zeigefinger heben, dass schließlich der Bürger stärker in die Pflicht genommen wird? Ich meine, wo sind wir denn hier bei uns in Norddeutschland?«
Er schiebt seine Brille wieder hoch, aber diesmal nicht mit der Hand, sondern mit der Nase, und dabei entblößt er einen unglaublichen Lattenzaun von Zahnreihe.
Ach du dickes Ei. Ein Provinzfeuilletonist.
*
Die Wolkenfront von heute Morgen ist ein bisschen durchlässiger geworden. An einigen Stellen hat der graue Himmel sogar eine hübsche Rosa-orange-Schattierung. Es ist so gut wie windstill. Das ist hier oft so, gegen Abend. Als wäre das Wetter müde vom Tag.
Der
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