Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Männer auf der Rolltreppe half ihr. Keiner sagte auch nur einen Ton. Manche ließen sie nicht mal durch.
Sonntagsfahrer
W ir sitzen in Klatsches Wohnzimmer im offenen Fenster in der Sonne, wir lassen die Beine nach draußen baumeln, wir trinken warmen, gezuckerten Kaffee und sehen uns den Sonntagmorgen in unserer Straße an.
»Werbespot«, sage ich.
»Reiner Werbespot«, sagt Klatsche. Er hat den Arm um meine Schultern gelegt.
Die Straße ist heute Morgen wirklich wieder wie gemacht für eine gutgelaunte Kaffeereklame. Friedlich, mit genau dem richtigen Schuss Leben. Wäre ich Kaffeekonzernchef, ich würde das hier sofort nehmen. Ich würde ein paar Takte fernsehtaugliche Gitarrenmusik drunterlegen, und dann würde ich ungeschnitten senden.
Die Sonne steht hoch über den Häusern um diese Zeit. Sie gießt ein heimatliches Licht über die Szene.
Der Eisdealer stellt seine runden Eisdielentische und die bunten Stühle raus, und er holt Topf für Topf sein frisch geschlagenes Eis aus der Kühltruhe. Dann trinkt er einen starken, dunklen Kaffee.
Der hübsche Junge vom Gelötemarkt steigt mit Meerwasserlocken aus seinem alten VW-Bus, hinter ihm springen, eins, zwei, drei, die Kinder seiner Freundin aus der offenen Seitentür, seine Freundin klettert hinterher, ihre langen, dunklen Locken sehen aus wie Federn. Die fünf kommen von der Ostsee. Das machen sie oft, einfach mal für eine Nacht an den Strand fahren und unter freiem Himmel schlafen. Er schließt den Laden auf. Nicht, um etwas zu verkaufen, nein. Sonntags machen sie nur auf, um auf der Bank vor dem Laden zu frühstücken. Der andere hübsche Junge vom Gelötemarkt ist inzwischen auch da. Er hat noch ein bisschen dicke Augen, der war wieder lange tanzen, wie so oft, ich hab gehört, dass er ziemlich gut tanzt. Und dann sind da noch zwei Mädchen, die haben wohl im Laden geschlafen, warum auch immer. Sie setzen sich alle zusammen auf die selbstgezimmerte Holzbank vorm Gelötefachmarkt und trinken erst mal Milchkaffee aus großen Gläsern. Ihre Gesichter sehen aus, als wäre es Kakao.
Vorm Kandie Shop treiben sich ein paar Einzelgänger rum. Frühaufsteher, wie der Typ im eleganten Hemd, der dünne Zigarillos raucht und stolz seinen alten Opel Senator bewacht. Der DJ, der zwar letzte Nacht aufgelegt hat, aber trotzdem wie immer um acht hoch ist, entweder, weil er seine Kinder zu Besuch hat, oder einfach, weil es ihm gefällt. Und der Kunsthändler, der mit seinem Hund rausmusste, und dann kann man ja auch gleich draußen bleiben und in Ruhe Zeitung lesen, wenn es schon endlich mal so schön ruhig ist in dieser Straße. Alle drei trinken natürlich Kaffee. Der DJ einen doppelten Espresso, der Senatormann einen verlängerten Espresso, der Kunsthändler einen Cappuccino.
In der Mitte der Straße, in einer sonnigen Parkbucht, schraubt Rocco Malutki an einer alten Schwalbe rum. Die Schwalbe ist ockergelb, und auf dem hinteren linken Kotflügel klebt ein Bild von Fury im Sonnenuntergang.
»Schau mal«, sage ich, »da ist Rocco.«
»Hab ich schon gesehen«, sagt Klatsche.
Wir nehmen jeder einen Schluck aus unseren Kaffeebechern. Wie gut, dass wir hier oben im vierten Stock sind. Da sieht uns von unten keiner. Wir sind raus aus der Reklamenummer.
»Wo hat der Spinner denn so schnell eine Schwalbe her?«, frage ich. »Der ist doch erst seit ein paar Tagen wieder in der Stadt.«
»Die hat er sich organisiert«, sagt Klatsche.
Organisiert. Schon klar.
»Wie findest du das mit Rocco und Carla?«, frage ich.
Er trinkt seinen Kaffee aus, zieht mich an sich und flüstert mir ins Ohr: »Genau richtig.«
Das kitzelt. Ich schiebe ihn weg und sehe ihn an. Dann sehe ich nach oben in den Hamburger Himmel, dann wieder nach unten in unsere Bilderbuchstraße, und dann passiert etwas sehr Merkwürdiges: Ich weiß, wo ich hingehöre.
*
Klatsche und Rocco schrauben wie die Wahnsinnigen an der alten Schwalbe rum. Das Ding ist schwer zum Laufen zu kriegen. Nach zwei Stunden hatte ich keine Lust mehr, zuzuschauen. Irgendwann ist ja auch mal gut mit auf der Straße Kaffee trinken. Ich hab mich auf den Weg zu Carla gemacht, was anderes trinken.
Carla steht in der Küche und rührt eine rosarote Flüssigkeit in einem großen Krug an.
»Himbeerlimonade«, sagt sie.
Sie schmeißt ein paar Eiswürfel und eine Handvoll Blumen in den Krug.
»Wozu die Blumen?«, frage ich.
»Schmeckt bunter.«
Wir gehen nach vorne in den Laden. Ist nicht viel los heute. Die Leute sind
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