Knecht – Die Schattenherren II
Geister verraten, warum sie sich so nach dem Leben sehnen, dass sie nicht davon lassen können.«
Ilion setzte sich.
»Flutatem also?«, fragte Velon. »Ist das ein Ort?«
»Eine Stadt«, sagte der König.
»Weit von hier?«
»Südlich des Nachtschattenwalds. An der Küste. Ihre Bewohner werden nicht sehr geschätzt, aber sie bieten Reichtümer zum Handel an. Ware, die sie auf dem Meer erbeutet haben.«
»Seeräuber«, erkannte Bren.
»So sagt man wohl. Flutatem ist uneinnehmbar, deswegen ein sicherer Hafen für sie. Ihr werdet es selbst sehen.«
»Alenias«, sagte Gadior. »Ihr müsst verstehen, dass unser Auftrag ist, Lisanne zurückzuholen. Der SCHATTENKÖNIG ist ungeduldig, und wir haben schon viel Zeit verloren. Wenn ihre Spur nicht zum Seelennebel führt, werden wir nicht dorthin fahren. Wir haben keine Muße für Umwege.«
»Sorgt Euch nicht, mein junger Freund. Wenn sie nach Flutatem ging, wollte sie auf das Meer hinaus. Und wenn sie in eine andere Richtung fuhr, dann werde ich in Flutatem dennoch ein Schiff finden, das mich bringt, wohin es mich zieht.«
Velon nickte. »Dann ist es beschlossen. König Ilion, wir würden Eure Gastfreundschaft gern noch länger genießen, aber der Schattengraf spricht wahr. Wir wären Euch verbunden, wenn Ihr uns Führer nach Flutatem stellen könntet.«
»So Ihr es wünscht, sollt Ihr sogleich aufbrechen.«
»Wann wachen die denn endlich auf?«, fragte Admiral Cherron, Schrecken der Meere, Kapitän der Schwarzer Hai , Zerstörer von Beniabutt. Der Kopf des Ratsmeisters von Flutatem würde in den meisten Städten am Meer der Erinnerung mit Gold aufgewogen, hätte sich ein Aufrechter gefunden und ihn von den Schultern geschlagen.
Aber das war nicht Brens Aufgabe. Er betrachtete das narbige Gesicht, in dem klare Kristalle die Augen ersetzten. Offensichtlich handelte es sich um magische Artefakte, denn Cherron bewegte sich nicht wie ein Blinder. Er wandte sein Gesicht Bren zu, genauer gesagt benutzte er sein gesamtes Gesicht, um Bren zu mustern. Er schien seine Kristalle nicht wienatürliche Augen bewegen zu können und schwenkte daher den Kopf, um seinen Blick schweifen zu lassen. Gleich einer Katze.
»Geduld, Admiral«, bat Bren. Er stand breitbeinig in der Mitte des Saals, der eigentlich nicht klein war, aber aufgrund der zusammengeraubten Kuriositäten und der mangelnden Ordnung der Tische und Bänke eng wurde. Ein Kristallleuchter, der an der Decke keinen Platz fand, weil die verschiedenen Modelle dort bereits aneinanderstießen, lag auf zwei zusammengeschobenen Truhen. Seine Arme dienten als Halterung für abgelegte Garderobe, die vom letzten Fest übrig geblieben sein mochte, das sicher nicht lange her war, denn umgestürzte Becher lagen herum und ein erkalteter Schweinebraten quoll keine zwei Schritt von Bren entfernt über eine Bronzeplatte, geziert von einer zerrissenen Perlenkette. Die mochte die gleiche Frau geschmückt haben wie das Kleid, das zwischen zwei derben Jacken auf dem Leuchter hing. Der Riss im Stoff ließ vermuten, dass seine Trägerin es nicht freiwillig abgelegt hatte.
»Geduld ist etwas für Knechte, für Untertanen«, versetzte Cherron. »Meine starke Seite ist sie nicht.«
»Dann nutzt Ihr das Vorrecht des Herrschenden.«
»Nein, das des freien Mannes.« Er ließ sich auf einen der Throne fallen, die nach unverständlichem System im Raum verteilt waren, und schwang ein Bein über eine Lehne. Er saß dort wie ein Rotzlümmel, der darum bettelte, übers Knie gelegt zu werden. Allerdings ein Rotzlümmel, der sich mit der Spitze der unterarmlangen Klinge eines Entermessers die Fingernägel reinigte und dabei die Kristallaugen, die seinem zernarbten Gesicht etwas von einer Wespe gaben, auf Bren gerichtet hielt. »Freie Männer tun, was ihnen beliebt«, fuhr Cherron fort. »Zu warten beliebt mir nicht. Was mich zu der Frage bringt, warum ich hier überhaupt meine Zeit vertrödele.«
Die Stadt im Ganzen gab sich ebenso chaotisch wie dieser Saal. Sie lag in einem Talkessel zwischen Hängen, die so steil abfielen, dass die Schattenrosse hatten abgeschirrt werden müssen, um die Kutsche heil die Serpentinen herunterzubringen. Die Stadtmauer war ein wilder Verhau aus den Bugsprieten von Schiffen, die nicht schnell genug für die Piraten gewesen waren, bestückt mit Ballisten und bemannt mit verwegenen Gestalten. Ein Raubein hatte ihnen zur Begrüßung geraten, gut auf sich aufzupassen, da es keine Stadtwache gab und ›Gesetz‹ ein Begriff
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