Knecht – Die Schattenherren II
Dutzend Frauen und etwas mehr Kinder an. Die Treppe führte noch weiter nach oben, dort mochte es weitere geben. Wenn er Gadior recht verstanden hatte, kam es nicht selten vor, dass die Söldner den Fayé Schwangere zuführten. Und jetzt musste er, Bren, eine der Frauen auswählen, damit sie den Osadroi als Nahrung diente. Vermutlich würde sie nicht daran sterben, wahrscheinlich nur unwesentlich an Lebenskraft verlieren, sich in ein paar Tagen vollständig erholen. Aber gefahrlos war es nicht. Wenn sie zu gut schmeckte, was immer das bei Essenz bedeuten mochte, konnte es sein, dass sich Velon und Gadior an ihr berauschten, mehr von ihr forderten, als sie geben konnte. Dann würde diese Nacht eines der Kinder zu einer Waisen machen. Es war an Bren, zu wählen, wen es träfe.
Er stand nicht das erste Mal vor einer solchen Entscheidung. So etwas konnte er nicht genießen, wie es einige Krieger taten, die die Betroffenen um Gnade betteln ließen. Manche hätten diese Möglichkeit genutzt, um die Frauen zeigen zu lassen, wie nett sie zu einem Mann sein konnten, der sie verschonte. Das hatte Bren nie getan, nicht einmal, als er ein einfacher Krieger gewesen war. Damals hatte er sich viele Gedanken gemacht. Welche Mutter hatte ein Kind, das alt genug war, für sich selbst zu sorgen? Welche war so kräftig, dass sie viel Lebenskraft entbehren könnte?
Heute tat er das nicht mehr. Menschen starben, das lag in ihrer Natur, da hatten die Fayé ganz recht. Manche am Hunger, andere an einer Flut, an einem Stück Stahl in der Brust, am Alter, an einer Krankheit. Oder eben an den Osadroi. Der Tod war nicht wählerisch, er nahm jeden.
Deswegen fasste Bren die Erstbeste am Oberarm und schüttelte sie, bis sie erwachte. »Komm!«
Sie brauchte einen Moment, um den Schlaf abzustreifen. Dann erschrak sie. »Ihr seid ein Ondrier!«
Er antwortete nicht, zog sie auf die Füße. Er sprach ungern mit den Opfern, vor allem dann, wenn es sich um Frauen handelte. Am liebsten war ihm, wenn er nicht einmal ihre Namen kannte. So konnte er beinahe an einen unpersönlichen Lauf der Dinge glauben, wie der Kult es lehrte. Die Schatten waren die mächtigste Urkraft der Welt, sagte man. Niemand konnte sich dagegenstellen. Sie legten sich über alles, über jeden, früher oder später, und es war selten eine Gnade, zu den Späteren zu gehören.
Die Frau war das Gehorchen gewohnt. Als sie auf der Treppe waren, versiegte auch ihr schwacher Widerstand.
Draußen stockte Bren. Es hätte ihn nicht überrascht, Sialas mit Alenias anzutreffen. Tatsächlich sah er zwei Fayé durchdas Palisadentor kommen, und einer von ihnen mochte Alenias sein, denn sein langes Haar war ergraut und er ging gebeugt. Doch die andere Person nahm seine Aufmerksamkeit deutlich stärker gefangen. Bei ihr handelte es sich ebenfalls um eine Fayé, und von allen Fayé, die er bisher getroffen hatte, war sie am eindeutigsten als weiblich zu erkennen. Das Volk des Nachtschattenwalds zeichnete sich ansonsten durch Androgynität aus, Geschlechtsmerkmale waren kaum auszumachen, obwohl die Blätterkleidung eng am Körper des Trägers anlag. Die Gesichter waren zu fremdartig, um aus ihnen etwas ablesen zu können. Diese Frau aber trug nicht die traditionelle Kleidung der Fayé, sondern ein Gewand aus Stoff. Das Kleid hatte sogar einen Ausschnitt. Vor allem aber wölbte sich der Bauch darunter so auffällig, als hätte sie drei dicke Kissen umgeschnallt.
Die Krone auf ihrem Kopf veranlasste Bren, das Haupt zu neigen. »Ihr müsst Königin Anoga sein«, vermutete er.
Sie streckte ihm eine Hand entgegen, die viel zu feingliedrig war, um zum gleichen Körper wie der ausladende Bauch zu gehören. Er küsste die knochendünnen Finger.
»Ich sehe, Eure ondrischen Freunde sind schon eingetroffen«, sang ihre melodische Stimme.
»Es scheint so«, bestätigte Alenias.
»Eure Herren haben Hunger?«, fragte Anoga mit Blick auf die Frau.
»So ist es, Majestät«, bestätigte Bren.
»Hier seid Ihr!« Sialas stürzte vom Tor herbei.
Alenias hob das graue Haupt. Aus der Nähe betrachtet waren die tiefen Falten in seinem Gesicht unübersehbar. Er benutzte sogar einen Gehstock. »Jetzt habt Ihr mich ja gefunden.«
Sialas kniete vor seiner Königin nieder. »Majestät … Ihr … soll ich …«
Anoga machte eine Bewegung, als wische sie ein Insekt weg. »Lassen wir ihn zu seinen Herren gehen. Mit Euch habe ich ohnehin noch etwas zu bereden, Sialas. Alenias, begleitet Ihr ihn?«
»Wie Ihr
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