Knecht – Die Schattenherren II
erziehen.«
»Aus Gras kann man keine Keule schnitzen.« Er nahm noch einen Schluck. »Ist Euer Bruder ein solches Ärgernis für Euch?«
Gorans Gesicht fuhr zu ihm herum. »Woher wisst Ihr, dass ich gegen Elutan ziehen will?«
»Jeder Herrscher täte das früher oder später«, behauptete Bren. »Macht lässt sich nicht teilen. Nicht auf Dauer. Am Ende setzt sich der Stärkere durch, der Schwächere muss vergehen. Das ist das eherne Gesetz der Welt.«
»Elutan und ich teilen uns Tamiod seit Anbeginn der Zeit.«
Bren zuckte mit den Schultern. »Dann mag es hier anders sein. Dies ist ein fremdes Land für mich. Dort, wo ich herkomme, müsste ein König wie Ihr damit rechnen, dass sein Bruder danach strebte, die Kronen zu vereinigen.«
Nachdenklich sank Goran in sein Kissen zurück.
Der Feuerspucker beendete seine Darbietung und wurde entlassen.
Zwei Träger brachten einen verhüllten Gegenstand herein. Er überragte die Frau, die von einem Chaque eskortiert wurde wie der Feuerspucker vor ihr. Falten verunzierten ihre jugendliche Gestalt, eine Eigenheit der Tamioder. Mit der Kleidung von Blutstein kam sie noch nicht zurecht, die roten Schlaufen fielen unvorteilhaft und entblößten eine Stelle an ihrem Bauch. Das tat ihrem Stolz keinen Abbruch, sie hielt das runde Kinn erhoben, nachdem sie sich verbeugt hatte.
Trotz der wenig ästhetischen Erscheinung stand Goran erwartungsfroh auf. »Das müsst Ihr Euch von Nahem ansehen, Bren Stonner! Es ist etwas ganz Besonderes. So etwas werdet Ihr nicht aus Eurer Heimat kennen.«
Bren folgte ihm vor den Gegenstand. Hinter ihnen sammelten sich einige Traumlenker, angelockt von der speziellen Würdigung, die der König der Sache zuteilwerden ließ.
»Enthülle es!«, rief Goran.
Die Bewegung, mit der die Frau die Verschnürung löste, war beinahe schon trotzig. Das Tuch fiel raschelnd zu Boden und gab den Blick auf ein Bild frei.
Ein Bild, wie Bren tatsächlich noch keines gesehen hatte. Er betrachtete es von der Seite, um sich zu vergewissern, dass es tatsächlich nur Farbe auf einer Leinwand war, die von einem dünnen Holzrahmen gehalten wurde. »Zauberei?«, fragte er.
Goran schüttelte den Kopf mit sichtlicher Befriedigung in den kindlichen Zügen. »Eine reine Illusion der Farben. Nicht wahr, Ligata?«
»Ja, mein König«, bestätigte die Malerin.
Das Raunen der Traumlenker verriet, dass ein solcher Anblick auch für sie ungewohnt war. Das Bild zeigte eine Raubkatze, die sich durch leuchtende Farne schob. Im Hintergrund erhob sich eine schwarze Stufenpyramide, dahinter einige Berge, über denen Wolken die Sterne verdeckten. Bren hatte Meisterwerke gesehen, deren Strich kaum von dem der Natur zu unterscheiden war, wie es auch auf dieses zutraf. Das Besondere waren nicht die Genauigkeit der Beobachtung und die Sicherheit des Pinsels, sondern die Tiefe des Bildes. Es wirkte so, als rage der Kopf der Katze tatsächlich aus der Leinwand, und als könne man wenigstens eine Armlänge hineingreifen, bevor man die Berge erreichte. Bren bewegte den Kopf seitwärts, um zu sehen, ob die Motive mitwanderten. Sie taten es nicht, aber die Illusion blieb dennoch erhalten, solange man einigermaßen gerade vor dem Bild stand.
»Berührt es«, kicherte Goran. »Vorsichtig, natürlich.«
Unter Brens Fingern war die Farbe deutlich zu fühlen. Kleine Knoten der Pigmente, der Fluss des Strichs. Nichts davon tiefer, als er mit dem Fingernagel ausmessen konnte, und doch erzeugte es den Eindruck, man könne hineingehen.
»Es ist keine Magie, Herr«, sagte Ligata. »Nur die Kunst der Farbe. Was mich dazu bringt, Majestät, nochmals untertänigst zu erwähnen, dass ich meiner Gehilfen bedarf. Sie sind entscheidend daran …«
Mit unwirscher Geste schnitt Goran ihr das Wort ab. »Ich will nichts mehr davon hören! Andere Gehilfen werden sich finden. Du wirst sie anlernen!«
Ligata senkte den Blick, aber Bren hörte ihre Zähne knirschen.
Als Goran das Bild verhüllen und fortbringen ließ, begaben sich die Traumlenker wieder auf ihre Plätze. Der nächste Künstler war ein Flötenspieler, der seine Lieder auf zwei Instrumenten gleichzeitig darbot.
Bren blieb vor den Kissen stehen. »Es ist ein gelungener Abend, Majestät, aber ich habe Pflichten. Ich muss nach meinen Leuten sehen.«
»Seid versichert, dass es ihnen gut geht. Ich vermute gar, es ging ihnen niemals besser. Es ist für alles gesorgt.«
»Die Sorge eines Generals kann nicht mit Worten beruhigt werden.«
Goran
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