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Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Titel: Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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und nimmt den Finger nicht vom Klingelknopf. Halb neun Uhr morgens, und der Terror eines neuen Tages hat begonnen.
    »Entschuldigung«, sagt die kleine alte Frau, als ich die Tür aufreiße. »Die Schelle klemmt.«
    Ich drücke selbst noch einmal drauf. Der Knopf löst sich. Linus stellt das Bellen ein. Es herrscht himmlische Ruhe. Nebelschwaden ziehen über die Kehr, ein Radfahrer vom Team Gerolsteiner summt vorbei, und über Deutschland geht gerade die Sonne auf.
    Ich atme tief durch. Ich glaube, ich lächele sogar.
    Ich kenne die stämmige alte Frau nicht, die vor mir steht. Sie hält mir eine Zeitung hin, von der ich ohne Lesebrille nur Grenz-Echo identifizieren kann, und fragt: »Sie sind doch Frau Klein?«
    Ich nicke. Die Szene erscheint mir genauso unwirklich wie die meines Traumes; ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob sie nicht auch noch dazugehört.
    »Was ist los?«, frage ich.
    »Darf ich reinkommen?«
    »Warum?«
    »Ich bin Frau Schröder. Aus Krewinkel. Aber wenn das da …«, sie deutet auf einen Artikel, »… nicht gewesen wäre, dann wäre ich heute Frau Backes. Darum bin ich hier, Frau Klein. Ich muss unbedingt mit Ihnen sprechen.«
    »Bitte, Frau Backes …«
    »Frau Schröder. Das ist ja das Schlimme.«
    »Frau Schröder. Ich muss erst mal wach werden.«
    »Es … ist … gleich … neun.«
    Sie sieht mich aus harten kleinen Augen an und weicht nicht von der Stelle. »Sie haben vielleicht etwas. Was mir gehört. Das muss ich wissen.«
    Am liebsten würde ich ihr die Tür vor der Nase zuknallen, mich wieder in mein Nest begeben und mein Unterbewusstsein auffordern, mich im nächsten Traum in eine mir gänzlich unbekannte mordfreie Gegend zu versetzen, zum Beispiel auf eine griechische Insel. Ach, wie ich Hein und Jupp beneide! Seltsam, dass Nicolina nicht schnattert. Sonst gibt sie immer Laut, wenn sich jemand meinem Grundstück nähert.
    »Hallo, Katja!«, höre ich Regine von der anderen Straßenseite. Sie hebt fröhlich einen Arm und stiefelt unerträglich energiegeladen auf die Einkehr zu. Wieso schon so früh? Jetzt erst fällt mir ein, dass wir heute einen großen Mittagstisch haben.
    Hermann Kerschenbach und seine Kaffeefahrer.
    »Ich habe wirklich nicht viel Zeit«, sage ich. »Um was geht es?«
    Linus stupst die Tür weiter auf. Frau Schröder betrachtet dies als Einladung, schiebt sich neben mir einfach in den Flur und krault unbekümmert meinen höllisch aussehenden Riesenhund am Kopf.
    »Um den Briefträger«, antwortet sie. »Der verschwunden ist. Jetzt, wo hier steht, dass er nie von der Kehr weggekommen ist, möchte ich mein Medalljong wiederhaben. Der Mörder hat es ihm ja bestimmt abgeholt.«
    »Er hat es ihm abgeholt?«, wiederhole ich verständnislos. Jetzt lebe ich schon so lange in der Eifel, weiß längst, dass hier alles geholt , was woanders genommen wird, und verstehe doch kein Wort.
    Ich brauche einen Kaffee.
    »Genau. Deshalb ist es ja vielleicht noch hier. Dann muss ich es unbedingt zurückhaben.«
    »Bitte, Frau Schröder«, sage ich. »Da drüben ist die Küche. Machen Sie uns doch einen Kaffee. Ich ziehe mich inzwischen an.«
    Es ist eine sehr traurige Geschichte, die ich wenig später zu hören bekomme, eine Geschichte, wie sie nur in diesem gebeutelten Landstrich der Westeifel geschrieben werden kann. Die in einer Zeit spielt, als zum zweiten Mal in einem Jahrhundert an dieser Grenze eine belgische Militärregierung herrschte, einer Zeit, in der die Menschen nicht wussten, ob sie Belgier oder Deutsche waren, und das Gefühl hatten, von beiden Ländern im Stich gelassen worden zu sein. Neun Jahre lang war das der Kehr benachbarte Losheim Niemandsland. Die Bewohner entrichteten ihre Steuern an den belgischen Staat, der sich aber weigerte, ihnen Kredite für den Wiederaufbau zu geben. Die Stromrechnung bezahlte man nach Deutschland, das nichts unternahm, um das schlechte Lichtnetz zu verbessern, weshalb man die Abende oft bei Kerzenlicht verbringen musste. Als eine schnelle Verkehrsverbindung von Aachen nach Trier eingerichtet wurde, durfte der Bus in Losheim nicht halten. Er durchfuhr den Ort im Transit und hielt erst an der Zollschranke bei uns auf der Kehr. Nur hier konnten die Losheimer aus- und einsteigen.
    »Das waren schlimme Zeiten«, sagt Petronella Schröder, die damals Henkes hieß und einen Verehrer in Losheim hatte, den von vielen Damen begehrten Landwirt Josef Backes. Ein Mann, dem alle Frauen hinterherliefen, weswegen sich das Fräulein Henkes

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