Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
sage ich hilflos. »Damit sie nicht erfriert.«
Frau Schröder lacht vergnügt. »Keine Sorge, Gänse können draußen bleiben. Die sind für den Winter gemacht. Dafür haben sie doch ihre Daunen.«
»Die man ihnen früher in der Eifel bei lebendigem Leib herausgerissen hat«, sagt Jupp erschaudernd. »Lebendrupf heißt das. Dabei hat man ihnen manchmal die Knochen gebrochen. Und die Haut kam oft auch gleich mit.«
»Wie furchtbar!«, rufe ich entsetzt. »Warum wurden die Gänse nicht erst nach der Schlachtung gerupft?«
»Man brauchte das Tier ja noch für zu mästen«, erklärt Perings. »Für die Stopfleber zum Beispiel. Die Federn wachsen nach. Mehrere Ernten sind eben lukrativer.«
»Ich habe meine Gänse immer erst an Weihnachten gerupft. Nach dem Schlachten«, versichert Petronella Schröder.
»Nicolina wird nicht geschlachtet«, bestimmt Gudrun störrisch.
Seltsam, denke ich, früher kannte sie solche Skrupel nicht. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sie sich auf das schöne Fell von Kälbchen gefreut hat, die sie selbst auf die Welt gebracht hatte. Um sich gleich nach der Schlachtung daraus etwas Hübsches zu nähen. Weshalb diese plötzliche Sentimentalität? Hat sie etwa ein schlechtes Gewissen? Nein, ich darf meine Freundin nicht verdächtigen. Sie hat in den vergangenen Jahren eine Wandlung durchgemacht. Eine Entwicklung, wie ich sie ja auch an mir selbst beobachte. Ich bin nicht mehr die Berliner Katja, die aus der Großstadt in die Eifel gepoltert kam und alles besser gewusst hat.
»Was habt ihr dann mit der Gans vor?«, fragt Frau Schröder verwundert.
»Kann man Gänseeier essen?«, fragt David.
»Schmecken ziemlich streng«, antwortet Gudrun. »Aber man kann Nicolina ja die Eier ausbrüten lassen, wenn man einen Ganter dazuholt.«
»Nein danke«, sage ich freundlich. »Eine Gans reicht.«
»Ist eigentlich eine zu viel«, wirft Hein ein. »Jetzt, wo Regine nicht mehr …« Seine Stimme verliert sich.
Er hat recht.
Ich blicke auf unsere Anrichte. Wo die Reste einer anderen genießbaren Kreatur liegen. Zwei Rehkeulen warten darauf, bei Niedrigtemperatur geschmort zu werden. Man kann Empfindsamkeit auch übertreiben. Die Gans mag einen Namen haben, aber keiner von uns hat eine Beziehung zu ihr aufgebaut. Wir alle haben ihre Artgenossen ungerührt in Tiefkühltruhen der Supermärkte betrachtet. Sie bisher nur deshalb von unserem Speiseplan ferngehalten, weil uns das Fleisch zu fett ist.
»Die Gans gehört Ihnen, Frau Schröder.«
Was ganz und gar der Wahrheit entspricht. Das Vieh ist mit Sicherheit von Krewinkel auf die Kehr gewatschelt und hat uns ordentlich erschreckt. Mein Gott, inzwischen sind Unzeiten und ein ganzes Leben vergangen.
»Wie schön!«, ruft die alte Frau begeistert. »Was wollen Sie für das Tier haben?«
»Nichts.«
»Umsonst ist nur der Tod«, sagt Petronella Schröder, erschrickt kurz vor diesen unbedacht geäußerten Worten und bedankt sich dann eilig.
»Frau Katja, ich bin ja so glücklich! Für Weihnachten sind Sie und Ihre Freunde bei uns eingeladen! Sie dürfen jetzt nicht Nein sagen …«
»Nellchen«, wirft Jakob Perings sanft ein. »Du kannst nicht so einfach über andere Leute entscheiden. Die haben auch Familien.«
Nein, denke ich. Keiner von uns hat eine. Wir sind eine. Oder zumindest waren wir früher so etwas wie eine Familie.
»Entschuldigung«, flüstert Petronella Schröder. »Ich meine nur, wenn Sie auf Weihnachten nichts anderes vorhaben …«
Eene jut jebratene Jans ist eene jroße Jabe Jottes , fällt mir ein alter Berliner Spruch ein. Es wäre unchristlich, eine solche Gabe zurückzuweisen.
Ich gebe mir einen Ruck. »Danke. Ich komme sehr gern.« Und werde reichlich Beilagen mitbringen.
»Katja!«, fährt mich Gudrun an. »Nicolina …«
»… ist und bleibt eine Gans«, vollendet Jupp grimmig ihren Satz. »Trotzdem ist es nicht richtig, wenn sie zu Weihnachten geschlachtet wird.«
»Du bist so was von herzlos, Katja«, sagt Gudrun, als ich nicht reagiere, wendet mir brüsk den Rücken zu und beginnt wütend die Anrichte zu putzen.
»Sie ist nur realistisch«, bemerkt Hein. »Weihnachten isst doch jeder Gänsebraten. Du hast uns letztes Jahr auch einen vorsetzen wollen, weißt du noch?«
»Halt die Klappe, Hein! Du wolltest Nicolina am Anfang ja sogar erschießen!«
»Erschießen?«, flüstert Petronella Schröder erschüttert. »Eine Gans? Warum das denn?«
»Gnade!«, meldet sich unser Amerikaner plötzlich zu Wort. »Wie
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