Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
David und Gudrun versichert. Vielleicht haben sich die beiden fürchterlich geirrt. Vielleicht war Regine genau der Typ, den ein Psychopath aus einem Ort fernöstlich der Westeifel gesucht hat? Vielleicht haben uns Gudrun und Hein per Internet den Tod ins Haus geholt?
Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen und fange an zu heulen.
Alle scharen sich um mich.
»Lass es raus!«, fordert mich Hein auf. »Dann geht es dir gleich viel besser.«
Jupp streichelt mir die Schultern.
»Du willst nicht wirklich weg«, sagt Gudrun. Sie reißt ein Stück Küchenpapier ab und hält es mir vor die Nase. »Putzen! Wohin denn auch? Du bist doch hier zu Hause. Wie wir alle.«
»Wir wollen weitermachen«, sagt Hein. »Wir lassen uns nicht unterkriegen. Nicht nach allem, was wir schon durchgemacht haben.«
»Wir dürfen dich nicht auch noch verlieren«, flüstert Jupp und knetet meine Schulter. »Das halten wir nicht aus. Dann geht hier alles kaputt. Bitte bleib.«
Plötzlich meldet sich jemand, der bisher nur schweigend zugehört hat.
»Für Regine«, sagt David einfach.
Er hat recht. Für Regine. Und für die anderen Menschen, von denen ich Freundschaft gelernt habe. Ich kann nicht weglaufen, irgendwo anders neu anfangen – wo nur? – und so tun, als hätte es diese Vergangenheit nicht gegeben. Außerdem würde mich die Obrigkeit zurückhalten. Nicht nur in Form von Marcel, den ich aus diversen anderen Gründen auch nicht so einfach verlassen kann. Ich gehöre selbst zum Kreis der Verdächtigen. Wie wir alle. Auch so etwas verbindet.
»Wir kümmern uns erst mal um die Keulen«, sage ich. »Dann sehen wir schon weiter. David, du machst die weißen Häute ab.«
Und dann muss ich mich meiner eigenen Haut erwehren, weil mich jeder umarmen will.
Bevor der Streit ausbricht. Soll man die Rehkeulen marinieren oder nicht? Und wenn ja, in Rotwein oder mit Öl überstreichen? Knoblauch ja oder nein? Knochen auslösen und für die Soße zerhacken oder dranlassen? Mandelknödel oder Rosmarinkartoffeln dazu? Wie wäre es mit einem Bratapfel und Rumrosinen? Nein, nicht Rum, zu langweilig; wir ertränken die vertrockneten Trauben in Calvados, passt besser zum Apfel. Seit wann muss bei dir etwas zueinanderpassen? Welche Vorspeisen sollen wir anbieten, welches Dessert? Was für eine Frage – natürlich Gudruns Apfelsinentorte!
Es ist wie früher. Herrlich chaotisch und kreativ. Jeder weiß alles besser. Insbesondere, wenn es um Wild geht. Da kennen sich alle Eifeler gut aus. Hier wird schließlich genug geschossen. In Texas auch, weshalb David aufgefordert wird, zu den Rehkeulen ebenfalls seinen amerikanischen Senf dazuzugeben. Nur mir, der Berliner Pflasterpflanze, die einst ofenfertig zubereitete Fleischscheiben im Laden gekauft hat, wird die Kompetenz für frisch erlegtes oder mutmaßlich überfahrenes Wild aberkannt. Ich hätte zwar originelle Ideen für Speisenzusammenstellungen, meinen die anderen, sei aber mit der Technik des traditionellen Zubereitens von Bambis aus Eifeler Wäldern betrüblich unvertraut.
»Bei siebzig Grad wird ganz und gar nichts gar«, versichert Gudrun, und Jupp nickt dazu.
»Ich esse nichts mit Blut am Knochen«, versichert Hein. »Das fließt bei nur siebzig Grad bestimmt immer noch. Und was ist mit den Bakterien?«
»Die sind bei sechzig Grad alle mausetot«, erkläre ich.
»Wie kommst du überhaupt auf diese wahnwitzige Idee?«
»Von Regine«, sage ich leise. »Und die hat es von einem Hobbykoch. Von diesem Internetmann, mit dem Gudrun sie verkuppeln wollte. Sie fand den Typ nett. Wer weiß, vielleicht wäre aus den beiden was geworden, wenn Hermann mit seinem Reisebus damals vor der Einkehr der Sprit nicht ausgegangen wäre.«
Ich mühe mich, normal zu atmen, habe aber alle Sinne gespitzt. Doch keiner der anderen scheint den Fremden aus dem Internet in Verdacht zu haben oder ihm den Schwarzen Peter zuschieben zu wollen.
»Dann sollten wir es ausprobieren«, sagt Jupp.
Seine Stimme klingt sehr feierlich. Als könnten wir mit dieser Garmethode der Lebensgeschichte von Regine noch posthum eine glücklichere Wendung geben. Als sei die Begegnung mit Hermann schuld an ihrem Tod. Was nicht unwahrscheinlich ist.
Die anderen nicken betroffen.
»Genau das Richtige für den Leichenschmaus«, sagt Gudrun. »Regine zu Ehren. Und wenn es nichts wird, sagen wir, dass dieses Rezept ihr Vermächtnis war. Dann traut sich keiner, sich über Blut am Knochen zu beschweren. Vielleicht sollten wir ihn doch auslösen.
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