Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
merken müssen, dass du in die falsche Richtung fährst«, sagt Marcel kopfschüttelnd.
»Du hättest links auf die L 17 abbiegen müssen«, sagt Hein.
»Und dann noch mal links auf die Hauptstraße«, fügt Jupp nickend hinzu.
»Wie hätte ich die denn sehen sollen!«, fahre ich die Männer an. »Alles war dunkel, Unmengen an Schnee, schlecht oder überhaupt nicht geräumte Straßen, die den Namen nicht verdienen; manchmal war einfach Schluss. Ich musste wieder umdrehen und einen anderen Weg suchen. Mein Gott, es war schwer genug, den Wagen überhaupt zu lenken. Und dabei hat er Vierradantrieb!«
»Und weiter?«, fragt Marcel. »Wie bist du dann gefahren?«
»Keine Ahnung. Einfach da, wo es Spurrinnen gab und das Auto Halt am Boden kriegte. Wo es eben weiterging. Ich habe immer gehofft, endlich ein bekanntes Ortsschild zu sehen. Aber nix da. Ich glaube, ich bin tief nach Belgien reingekommen, war vielleicht sogar schon in Luxemburg. Diese elenden Schneeverwehungen. Bin durch einen Ort gefahren, der ganz zu Recht Verschneid heißt.«
»Aber da warst du doch schon fast zu Hause!«
»Woher sollte ich das wissen? Bin einfach weitergefahren. Und war dann irgendwann in Amel.«
Marcel und Jupp stöhnen auf. Hein hört mir nicht mehr zu. Er hat den Kopf vorgebeugt und bespricht sich flüsternd mit Daniel.
»Von da fand ich dann den Weg nach Sankt Vith.« Ich erinnere mich daran, wie warm mir ums Herz wurde, als ich endlich begriffen hatte, wo ich mich befand. Dass ich nicht dazu verdammt war, den Rest der Nacht im Kreis durch die Eifeler Schneewüste zu gondeln. »Und von da wusste ich ja, wie ich nach Hause komme.«
»Da hättest du ja direkt in Sankt Vith bleiben können«, sagt Marcel leise.
»Na, da hättest du dich aber riesig gefreut, wenn ich dich um drei Uhr nachts aus dem Bett geklingelt hätte!«, fahre ich ihn an.
Mein Tonfall scheint den anderen mehr über unser derzeitiges persönliches Verhältnis zu verraten, als mir lieb ist. Marcel antwortet nicht. Unbehagliches Schweigen breitet sich aus. Daniel hat inzwischen das Tippen eingestellt und das Smartphone vor sich auf den Tisch gelegt. Er zieht das Papier mit der Aufstellung des Handtascheninhalts zu sich heran und unterschreibt, ohne es durchzulesen.
»Das Ofengemüse!«, ruft Gudrun und springt auf. »Der arme Junge verhungert uns noch.«
Ich folge ihr in die Küche und frage, wie das Gespräch mit dem Pfarrer verlaufen ist. Sehr gut, erfahre ich, Pastor May sei bereit, die Trauerfeier auf der Kehr zu halten, obwohl sich die Kapelle eigentlich außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs befinde.
»Aber er war doch Regines Pfarrer!«, rufe ich, während ich das Gemüse auf dem Blech großzügig mit Olivenöl einsprühe.
»Ja, und meiner ist er auch. Weil unser Haus in Rheinland-Pfalz steht«, antwortet Gudrun und schließt die Ofentür mit einem Knall. »Zwanzig Minuten reichen.« Sie stellt die Ofenuhr ein. »Deshalb wollte Regine ja auch in der Kirche von Hallschlag heiraten. Eben weil wir zum Bistum Trier gehören.«
Im Gegensatz zu unserer Kapelle auf der Kehr. Die, wie auch mein Restaurant und das Wohnhaus von Jupp und Hein, Nordrhein-Westfalen zugeordnet ist, also dem Aachener Bischof untersteht, wie mir Gudrun mitteilt. Der sei aber nicht zuständig für die katholischen Belgier auf der Kehr, das sei der Bischof von Lüttich.
Erstaunt registriere ich, dass auch das Personal des lieben Herrgotts sich den willkürlich gezogenen weltlichen Grenzen zu beugen hat. Ich verstehe nichts von Glaubensbehörden, hatte aber bisher angenommen, dass sich in einer pfarrerlosen Kirche wie unserer jeder katholische Pastor an den Altar stellen dürfe.
»Dann wird Pastor May seine Amtsbrüder in Nordrhein-Westfalen also erst um Erlaubnis fragen müssen?«
Gudrun schüttelt den Kopf. »Ist alles viel zu umständlich. Er weiß zwar nicht, wie der zuständige Pfarrer im Bistum Aachen darüber denkt, aber er wird es einfach tun, ohne groß zu fragen.«
So wie ja auch Marcel, ohne groß zu fragen, in Deutschland ermittelt, denke ich. Was er allerdings eher heimlich tut und am liebsten im Kreise seiner Freunde. Für offizielle Amtshandlungen hat er sich, soweit ich weiß, bisher immer Erlaubnis von deutscher Seite eingeholt.
Wie alle Amerikaner verschmäht Daniel beim Essen das Messer, wenn er es nicht unbedingt braucht. Allerdings hält er die Gabel in der linken Hand. Weil er mit der Rechten immer noch unentwegt an seinem Smartphone herumfummelt. Am
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