Knochen-Poker
des Weges zu Fuß, wobei ein Lächeln auf seinem Gesicht lag. Er freute sich, wieder in New York und in Chinatown zu sein. Der Laden würde noch stehen, einen Einbruch hatte er bisher nicht erlebt. Man akzeptierte ihn und das, was er verkaufte. Seine Wohnung lag nicht weit vom Maulberry Park entfernt, in einer Seitengasse, die keinen Namen hatte. Auch so etwas gab es noch in New York. Tommy wohnte über dem Souterrain, in dem sein Laden lag. Er besaß zwei große Zimmer und ein Bad. In einem Raum wohnte und schlief er. Den zweiten hatte er noch als Arbeitszimmer eingerichtet. Dort präparierte er die Skelette und ausgestopften Tiere. Die Fenster waren durch Eisengitter gesichert. Sie sahen ebenso grau aus wie das Kopfsteinpflaster der Straße. Auslagen besaß das Geschäft nicht. Wer hier kaufte, wusste auch so Bescheid. Seine Adresse hatte sich herumgesprochen, über Kundschaft konnte er sich nicht beklagen, und es waren auch die finanziell unabhängigen Menschen, die hin und wieder ein makabres Souvenir erwarben.
Tommy betrat zuerst den Hausflur. Durch ihn konnte man ebenfalls zu seinem Laden im Souterrain gelangen, das wussten nur Eingeweihte. Der normale Käufer nahm die Außentreppe.
In der Wohnung hatte sich nichts verändert. Tommy durchschritt sie, hatte Licht gemacht und schaute überall nach. Nein, Besuch hatte er nicht bekommen. Im zweiten Raum stand noch das Hasenskelett halb fertig auf dem breiten Präpariertisch, wie er es verlassen hatte. Im Wohnraum ließ er sich auf die mit Blümchenstoff bezogene alte Couch fallen und griff zum Telefon. Mit flinken Fingern tippte er die Nummer und wartete darauf, dass abgehoben wurde. Die Frauenstimme klang gehetzt, als hätte die Person einen langen Weg hinter sich.
»Ja bitte.«
»Hallo Kathleen.«
Schweigen, danach ein erstaunter Ausruf, schon fast ein Jubelschrei.
»Tommy!«
»Ja, ich bin es!«
Noch einmal vernahm er das heftige Atmen. »Rufst du aus New York an, Tommy?«
»Ja.«
»Und ich habe versucht, dich zu erreichen…«
»Ich war verreist. Habe mich ein wenig umgesehen. Du weißt ja, ich brauche immer Nachschub.«
»Hast du neue Gebeine gefunden?«
»Das nicht gerade.« Tommy lächelte versonnen. »Aber ich habe gute Kontakte angeknüpft und trotzdem Erfolg gehabt.«
»Du weißt, wie ich zu deiner Arbeit stehe. Ich möchte da nicht weiterfragen. Jetzt bist du da, und das ist gut.«
»Wann sehen wir uns?«
Kathleens Stimme wurde traurig. »Tut mir leid, ich muss zu einer Probe. Vielleicht werde ich angenommen. Das ist meine Chance. So gern ich dich sehen möchte, aber ich kann erst gegen Abend kommen.«
»Das ist nicht schlimm. Hauptsache, du kommst.«
»Natürlich, Tommy. So, jetzt muss ich verschwinden. Ich will nicht zu spät kommen. Ich mag dich, tschau…«
Auch Tommy legte auf. Sehr bedächtig drückte er den Hörer wieder zurück. Seine Stirn hatte er in Falten gelegt. Er dachte über Kathleen nach. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, Künstlerin zu werden. Klein wollte sie anfangen, an einer Broadway-Bühne, und sich dann hocharbeiten. Bisher hatte noch kein Manager angebissen, doch sie würde bestimmt ein Engagement bekommen. Das gönnte ihr Tommy. Nur wollte er dabei die Fäden ziehen, denn Kathleen kam mit vielen Menschen zusammen. Wenn sie ein Vampir war, konnte sie den Keim für die tödliche Brut wunderbar legen. Die nächste Nacht sollte entscheiden.
Tommy reckte sich. Er hatte lange genug gegessen, jetzt wollte er sich seinen Laden ansehen. An diesem Tag blieb sein Geschäft noch geschlossen. Morgen würde er es wieder öffnen. Morgen, wenn alles ganz anders aussah…
Im Flur traf er auf eine Hausbewohnerin, die ihn in ein Gespräch verwickeln wollte. Tommy ließ die Frau stehen und öffnete die schmale Seitentür im Flur. Dahinter lag eine Holztreppe. Sie führte in seinen Laden im Souterrain.
Es tat gut, den Geruch aufzunehmen. Nach Lösungsmitteln roch es ebenso wie nach Staub und Bohnerwachs. Er fand alles so vor, wie er es verlassen hatte.
Im Dämmer hingen die Skelette. Sie bewegten sich leicht im Luftzug, der entstand, als Tommy sie passierte. Dabei schienen sie ihn angrinsen zu wollen.
Bleiches Gebein hob sich deutlich von den dunkleren Flächen ab, auf dem es stand. Die Tierschädel glotzten ihn stumm an. Das Krokodilskelett sah trotz seiner Häutung noch so aus, als wollte es den Betrachter mit seinem aufgerissenen Maul verschlingen. Hinter dem Tresen mit der alten Registrierkasse blieb er stehen und
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