Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
Fuß Höhe kannst du nichts ausrichten.
Ich beschloß, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, indem ich ein Jahrhundert zurückging.
Ich öffnete meine Aktentasche, zog das Bélanger-Tagebuch heraus und blätterte zum Dezember 1844, weil ich hoffte, daß die Festtage Louis-Philippe in bessere Stimmung versetzt hatten.
Dem guten Arzt schmeckte das Weihnachtsessen im Hause Nicolet, ebenso seine Pfeife, was ihm aber nicht schmeckte, waren die Pläne seiner Schwester für eine Rückkehr auf die Bühne. Eugénie war eingeladen worden, in Europa zu singen.
Was Louis-Philippe an Humor entbehrte, machte er mit Hartnäckigkeit wieder wett. In den ersten Monaten des Jahres 1845 tauchte der Name seiner Schwester häufig auf. Offensichtlich hielt er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Aber Eugénie ließ sich, sehr zur Verärgerung ihres Bruders, nicht von ihren Plänen abbringen. Sie wollte im April abreisen, würde in Paris und Brüssel Konzerte geben, wollte dann den Sommer in Frankreich verbringen und Ende Juli nach Montreal zurückkehren.
Eine Stimme bat die Fluggäste, für die Landung in Pittsburgh die Sitzlehnen wieder in die aufrechte Position zu bringen und die Tische hochzuklappen.
Eine Stunde später waren wir wieder in der Luft, und ich befand mich im Frühling 1845. Louis-Philippe war sehr mit städtischen und Krankenhausangelegenheiten beschäftigt, besuchte jedoch seinen Schwager jede Woche. Allem Anschein nach reiste Alain Nicolet nicht mit seiner Frau nach Europa.
Ich fragte mich, wie Eugénies Tournee verlaufen war. Louis-Philippe hatte das offensichtlich nicht interessiert, denn in diesen Monaten wurde sie kaum erwähnt. Doch dann fiel mir ein Eintrag ins Auge.
17. Juli 1845. Aufgrund unvorhergesehener Umstände mußte Eugénies Aufenthalt verlängert werden. Es wurden entsprechende Arrangements getroffen, Louis-Philippe ließ sich im einzelnen jedoch nicht darüber aus.
Ich starrte in die Helligkeit vor meinem Fenster. Welche »unvorhergesehenen Umstände« hatten Eugénie in Frankreich festgehalten? Ich rechnete nach. Élisabeth war im Januar geboren worden. O Mann.
In den ganzen Sommer- und Herbstmonaten erwähnte Louis-Philippe seine Schwester nur höchst beiläufig. Briefe von Eugénie. Geht ihr gut.
Als unsere Räder den Asphalt des Dorval Airport berührten, tauchte Eugénie wieder auf. Auch sie war nach Montreal zurückgekehrt. Am 19. April 1846. Ihr Baby war drei Monate alt.
Das war es.
Élisabeth Nicolet wurde in Frankreich geboren. Alain konnte nicht ihr Vater sein. Aber wer war es dann?
Ryan und ich stiegen schweigend aus dem Flugzeug. Er rief seine Nachrichten ab, während ich aufs Gepäck wartete. Als er zurückkehrte, sagte mir sein Gesicht, daß es schlechte Nachrichten waren.
»Die Transporter wurden in der Nähe von Charleston gefunden.«
»Leer?«
Er nickte.
Eugénie und ihr Baby verschwanden wieder in ihrem Jahrhundert.
Der Himmel hatte die Farbe von Zinn, und ein feiner Regen wehte schräg durch die Scheinwerferkegel, als Ryan und ich in östlicher Richtung über den Highway 20 fuhren. Nach Angaben des Piloten herrschten in Montreal laue vier Grad.
Wir fuhren schweigend, da wir bereits besprochen hatten, wie wir vorgehen wollten. Eigentlich wollte ich nur schnell nach Hause fahren, meine Schwester finden und mich von einer immer bedrohlicher werdenden dunklen Vorahnung befreien. Doch ich würde tun, worum Ryan mich gebeten hatte. Erst dann würde ich meinen eigenen Plan verfolgen.
Wir stellten das Auto auf dem Parkplatz am Parthenais ab und gingen auf das Gebäude zu. Die Luft roch nach Malz aus der Molton-Brauerei. Öl glänzte auf den Pfützen, die sich auf dem unebenen Asphalt gesammelt hatten.
Ryan stieg im ersten Stock aus dem Aufzug, und ich fuhr weiter in den fünften zu meinem Büro. Nachdem ich meinen Mantel ausgezogen hatte, wählte ich einen Nebenanschluß im Haus. Man hatte meine Nachricht bekommen, und wir konnten anfangen, sobald ich soweit war. Ich ging sofort ins Labor.
Ich suchte mir ein Skalpell, ein Lineal, Kleber und eine sechzig Zentimeter lange Stange aus radiergummiähnlichem Material. Dann öffnete ich mein mitgebrachtes Paket, wickelte den Inhalt aus und untersuchte ihn.
Der Schädel und der Unterkiefer des unbekannten Murtry-Opfers hatten den Flug unbeschadet überstanden. Ich frage mich oft, was sich das Sicherheitspersonal am Flughafen denkt, wenn meine Skeletteile durch den Scanner wandern. Ich stellte den Schädel auf einen
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