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Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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Korkring mitten auf den Tisch. Dann drückte ich Kleber in das Kiefergelenk und befestigte den Unterkiefer.
    Während der Kleber trocknete, suchte ich mir eine Tabelle für die Gewebestärke im Gesicht weißer amerikanischer Frauen heraus. Als der Kiefer sich fest anfühlte, plazierte ich den Schädel auf einer Halterung, stellte die Höhe ein und befestigte ihn mit Klemmen. Die leeren Augenhöhlen starrten mir direkt ins Gesicht, während ich siebzehn winzige Gummizylinder zurechtschnitt und sie auf die Gesichtsknochen klebte.
    Zwanzig Minuten später brachte ich den Schädel in ein kleines Zimmer am Ende des Korridors. Ein Schild bezeichnete die Abteilung als Section Imagerie. Ein Techniker begrüßte mich und sagte mir, daß das System betriebsbereit sei.
    Ohne Umschweife plazierte ich den Schädel auf einem Ständer und filmte ihn mit einer Videokamera aus verschiedenen Blickwinkeln ab. Die Aufnahmen gab ich in einen PC ein. Ich studierte die digitalisierten Abbildungen und entschied mich für eine Frontalansicht. Mit Hilfe eines Stifts und eines mit dem Computer verbundenen Grafiktabletts verknüpfte ich die Gummimarker, die vom Schädel abstanden. Während ich den Fadenkreuz-Cursor über den Bildschirm dirigierte, entstand eine makabre Silhouette.
    Als ich mit dem Gesichtsumriß zufrieden war, wandte ich mich anderen Aspekten zu. Mit der Knochenarchitektur als Leitfaden suchte ich Augen, Ohren, Nase und Lippen aus der Datenbank des Computers aus und fügte diese vorgefertigten Merkmale in das Bild ein.
    Als nächstes testete ich Haare und fügte hinzu, was mir als eine am wenigsten verfälschende Frisur erschien. Da ich nichts über das Opfer wußte, blieb ich lieber unbestimmt, als mich zu irren. Als ich zufrieden war mit den Komponenten, mit denen ich meine Schädelabbildung versehen hatte, verwischte und schattierte ich die Rekonstruktion mit dem Stift, um sie so lebensecht wie möglich zu machen. Der ganze Prozeß dauerte weniger als zwei Stunden.
    Ich lehnte mich zurück und betrachtete meine Arbeit.
    Ein Gesicht starrte mich aus dem Monitor an. Es hatte leicht hängende Lider, eine zarte Nase und breite, hohe Wangenknochen. Es war hübsch, auf eine roboterhafte, ausdruckslose Art. Und irgendwie vertraut. Ich schluckte. Dann veränderte ich mit einigen Strichen des Stifts die Frisur. Ein stumpfer Schnitt. Ein Pony.
    Ich hielt den Atem an. Ähnelte meine Konstruktion Anna Goyette? Oder hatte ich nur einen bestimmten Typ einer jungen Frau erzeugt und mit einem vertrauten Haarschnitt versehen?
    Ich kehrte wieder zu der Originalfrisur zurück und bewertete die Ähnlichkeit. Ja? Nein? Ich hatte keine Ahnung.
    Schließlich drückte ich einen Befehl auf der Menüzeile, und vier Fenster erschienen auf dem Bildschirm. Ich verglich die Abbildungen miteinander und suchte nach Nichtübereinstimmungen zwischen meinem rekonstruierten Bild und dem Schädel. Zuerst der unveränderte Schädel samt Kieferknochen. Dann eine Abbildung mit dem nackten Knochen auf der linken Seite und dem rekonstruierten Fleisch auf der rechten. Als drittes das Gesicht, das ich erzeugt hatte, in gespenstischer Transparenz über Knochen und Gewebemarkern. Als letztes die komplette Rekonstruktion. Ich schaltete das letzte Bild wieder auf maximale Größe und starrte es lange an. Ich war mir nicht sicher.
    Ich druckte das Bild aus, speicherte die Rekonstruktion ab und lief in mein Büro. Bevor ich das Gebäude verließ, legte ich Ryan einige Kopien davon auf den Tisch. Die beigefügte Notiz bestand nur aus zwei Wörtern: Murtry, Inconnue. Unbekannt. Ich hatte jetzt andere Dinge im Kopf.
     
    Als ich aus dem Taxi stieg, hatte der Regen nachgelassen, aber die Temperatur war deutlich gefallen. Dünne Eismembranen bildeten sich auf den Pfützen und kristallisierten auf Drähten und Ästen.
    Die Wohnung war dunkel und still wie eine Krypta. Ich legte Mantel und Taschen in der Diele ab und ging direkt ins Gästezimmer. Harrys Make-up-Sachen lagen verstreut auf dem Toilettentisch. Hatte sie sie diesen Morgen oder letzte Woche benutzt? Kleider. Stiefel. Fön. Zeitschriften. Meine Suche ergab nichts, das darauf hätte hinweisen können, wohin oder wann Harry gegangen war.
    Das hatte ich erwartet. Was ich nicht erwartet hatte, war die Panik, die mich erfaßte, als ich Zimmer um Zimmer durchstöberte.
    Ich kontrollierte den Anrufbeantworter. Keine Nachrichten.
    Beruhige dich. Vielleicht hat sie Kit schon angerufen.
    Negativ.
    Charlotte?
    Kein Wort von Harry,

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