Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
Vom Netzwerk:
ist einfach nichts mehr da.«
    Am liebsten hätte ich sie geschüttelt, damit die Informationen herausrieselten, die meine Schwester retten könnten. Ich erinnerte mich an einen Kurs in Kinderpsychologie. Keine abstrakten Fragen, nur konkrete. Sanft schob ich sie auf Armeslänge von mir weg und hob ihr Kinn.
    »Als man Sie zu diesem Workshop brachte, sind Sie da von der Uni losgefahren?«
    »Nein. Sie haben mich hier abgeholt.«
    »In welcher Richtung sind sie von Ihrer Straße aus abgebogen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Erinnern Sie sich, auf welchem Weg Sie die Stadt verlassen haben?«
    »Nein.«
    Zu abstrakt, Brennan.
    »Sie sind über eine Brücke gefahren?«
    Sie kniff die Augen zusammen, dann nickte sie.
    »Über welche?«
    »Ich weiß es nicht. Warten Sie, ich erinnere mich an eine Insel mit hohen Häusern.«
    »Île des Soeurs«, sagte Ryan.
    »Ja.« Sie riß die Augen auf. »Jemand hat einen Witz gerissen, daß Nonnen in diesen Eigentumswohnungsblöcken leben. Sie wissen schon, soeurs. Schwestern.«
    »Die Champlain Bridge«, sagte Ryan.
    »Wie weit war die Farm entfernt?«
    »Ich –«
    »Wie lange waren Sie in dem Transporter?«
    »Ungefähr fünfundvierzig Minuten. Genau. Als wir ankamen, hat der Fahrer geprahlt, daß er es in weniger als einer Stunde geschafft hat.«
    »Was haben Sie gesehen, als Sie aus dem Transporter ausstiegen?«
    Wieder sah ich Zweifel in ihren Augen. Dann begann sie langsam zu erzählen, als würde sie einen Rorschach-Klecks beschreiben.
    »Ich erinnere mich an einen hohen Turm mit vielen Drähten und Antennen und Schüsseln, kurz bevor wir ankamen. Und dann ein winziges Häuschen. Wahrscheinlich für Kinder, damit sie drinnen auf den Schulbus warten können. Ich weiß noch, daß ich mir dachte, es könnte auch aus Lebkuchen und Zuckerglasur bestehen.«
    In diesem Augenblick tauchte hinter Anna ein Gesicht auf. Es trug kein Make-up und wirkte im flackernden Licht glänzend und bleich.
    »Wer sind Sie? Was wollen Sie hier mitten in der Nacht?« Englisch mit starkem Akzent.
    Ohne auf eine Antwort zu warten, packte die Frau Anna am Handgelenk und zog das Mädchen hinter sich »Lassen Sie meine Tochter in Frieden.«
    »Mrs. Goyette, ich glaube, daß einige Leute in Lebensgefahr sind. Anna kann uns vielleicht helfen, sie zu retten.«
    »Sie fühlt sich nicht gut. Jetzt gehen Sie.« Sie deutete zur Tür. »Ich befehle es Ihnen, sonst rufe ich die Polizei.«
    Das gespenstische Gesicht. Das trübe Licht. Der tunnelgleiche Korridor. Ich war wieder in meinem Traum, und plötzlich erinnerte ich mich. Ich wußte Bescheid, und ich mußte dorthin.
    Ryan wollte etwas sagen, aber ich schnitt ihm das Wort ab.
    »Vielen Dank. Ihre Tochter hat uns sehr geholfen«, warf ich hastig ein.
    Ryan starrte mich böse an, als ich an ihm vorbei und zur Tür hinauseilte. In meiner Hast wäre ich auf den Stufen beinahe gestolpert. Mir war nicht mehr kalt, als ich am Jeep stand und ungeduldig darauf wartete, daß Ryan sich von Mrs. Goyette verabschiedete, seine Mütze aufsetzte und auf die Straße herunterkam.
    »Was zum Teufel –«
    »Geben Sie mir eine Karte.«
    »Diese kleine Spinnerin könnte –«
    »Haben Sie eine Karte von dieser verdammten Provinz?« zischte ich.
    Ohne ein Wort ging Ryan um den Jeep herum, und wir stiegen beide ein. Er zog eine Karte aus der Halterung an der Fahrertür, und ich holte meine Taschenlampe heraus. Als ich die Karte auffaltete, ließ er den Motor an und stieg dann noch einmal aus, um die Windschutzscheibe freizukratzen.
    Ich fand Montreal, folgte dann der Champlain Bridge über den St. Lawrence und auf den 10-East. Mit taubem Finger fuhr ich die Route nach, die mich nach Memphrémagog gebracht hatte. Ich sah die alte Kirche vor mir. Ich sah das Grab. Den halb vom Schnee verdeckten Wegweiser.
    Ich fuhr mit dem Finger den Highway entlang und schätzte die Fahrzeit. Die Namen zitterten im Schein der Taschenlampe.
    Marieville. St. Grégoire. Sainte Angèle de Monnoir.
    Mein Herz setzte aus, als ich es sah.
    Gott, bitte laß uns rechtzeitig dort sein.
    Ich kurbelte das Fenster herunter und schrie in den Wind.
    Das Kratzen stoppte, und die Tür ging auf. Ryan warf den Schaber auf den Rücksitz und setzte sich hinters Steuer. Er zog die Handschuhe aus, und ich gab ihm Karte und Taschenlampe. Wortlos deutete ich auf einen kleinen Punkt auf dem Kartenquadrat, das ich aufgefaltet hatte. Er starrte darauf, und sein Atem war wie Nebel in dem gelben Licht.
    »Oh, Scheiße.« Ein Eiskristall

Weitere Kostenlose Bücher