Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Freunde hier herumdrücken.« Damit meint Marino die Gestalten, mit denen Channing Lott möglicherweise Umgang pflegt.
»Hier kann mir nichts passieren.«
Marino sucht mit Blicken den Parkplatz ab, wo kaum noch Raum für ein Fahrrad, geschweige denn für einen großen SUV ist. Dann heftet er sich an die Fersen eines Toyota Prius und fängt an zu schimpfen, als der Fahrer aussteigt, anstatt wegzufahren.
»Beschissenener Hybrid-Karren«, flucht er und trollt sich. »Für Sachverständige sollte es reservierte Parkplätze geben.«
»Bitte halt an. Hier wäre optimal.«
Er nimmt das Barking Crab mit seiner gelbroten Markise auf der anderen Seite der eisernen Hängebrücke, die über den Fort Point Channel führt, ins Visier.
»Vielleicht finde ich da drüben ja einen, denn die Mittagszeit ist vorbei, und fürs Abendessen ist es noch zu früh.« Er steuert darauf zu.
»Halt an.« Das meine ich ernst. »Ich steige aus.« Ich öffne die Wagentür. »Park einfach irgendwo. Wo, ist mir egal. Ich bin total spät dran.«
»Aber du wartest, falls ich nicht da sein sollte, wenn du fertig bist. Verdrück dich bloß nicht einfach.«
Vorbei am The Daily Catch, eile ich den gepflasterten Harbor Walk entlang zum Ufer, wo es einen Park mit Holzbänken und dicken Hecken aus blühender
Justicia Californica
gibt, ein immergrüner Busch, der sicher nicht zufällig für die Bepflanzung vor einem Gerichtsgebäude ausgesucht worden ist. Ich ziehe die Kostümjacke aus und trete durch eine Glastür in den Sicherheitsbereich, wo mich die Männer vom Wachdienst begrüßen. Es sind pensionierte Polizisten, inzwischen beim U.S. Marshals Service beschäftigt, und ich kenne sie beim Namen.
»Da ist sie.«
»Wir haben uns schon gewundert, wann Sie endlich auftauchen werden wie Falschgeld.«
»Sie sind auf jedem Fernsehsender. CNN . Fox News. MSNBC . Auch bei YouTube.«
»Ich habe eine Cousine in England, die Sie in BBC gesehen hat. Sie sagte, die Schildkröte, die Sie untersucht hätten, sei so groß gewesen wie ein Wal.«
»Meine Herren? Wie geht es Ihnen?« Ich überreiche ihnen meinen Führerschein, obwohl ich mich eigentlich nicht mehr auszuweisen brauchte.
»Könnte nicht besser sein, wäre gelogen.«
»Habe ganz vergessen, wann ich zuletzt so gut drauf war.«
Typisch Männer in dunkelblauer Uniform. Sie reißen Witze, die umso weniger Sinn ergeben, desto länger man darüber nachdenkt. Ich lächle trotzdem und händige ihnen mein iPhone aus, weil elektronische Geräte im Gebäude nicht gestattet sind, und zwar ohne Ansehen der Person. Meine Kostümjacke wird durchleuchtet, während ich durch den Metalldetektor schreite. Alles streng nach Vorschrift, ganz gleich, wie oft ich schon hier gewesen bin.
»Ich habe vorhin das Löschboot vorbeifahren sehen, Doc. Dann auch noch die Küstenwache und die Hubschrauber«, verkündet der Wachmann namens Nat, ein Muskelpaket mit der plattgedrückten Nase eines Preisboxers. »Die Dame, die Sie heute aus dem Wasser geholt haben, ist sicher die Mutter von jemandem.«
»Oder die Ehefrau. Glauben Sie, dass sie es ist, Doc?«
»Es ist noch zu früh, um das zu sagen«, erwidere ich.
»Eine schreckliche Sache.«
»Richtig.« Ich ziehe die Jacke wieder an.
»Ihr Telefon wartet hier auf Sie, wenn Sie gehen. Drinnen machen sie gerade Pause«, meint der rotgesichtige Wachmann namens Brian.
Er weist mit dem Kopf auf die Glasscheibe und macht mich auf einen gutgekleideten Mann und eine Frau aufmerksam, die mit Kaffeebechern auf dem gepflasterten Fußweg stehen.
»Die beiden da«, fügt er hinzu, »haben etwas mit Mr. Lott zu tun. Vielleicht Freunde, Angehörige oder Chefs in seiner Spedition. Das wissen nur die Götter. Ihm gehört ja die halbe Welt. Warum ist Marino nicht hier?«
»Der untersucht gerade den Straftatsbestand Parkplatzmangel.«
»Da wünsche ich ihm viel Glück bei der Aufklärung. Aber sie sollten hier nicht mutterseelenallein herumlaufen.«
Der Mann und die Frau auf der anderen Seite der Scheibe stecken die Köpfe zusammen und schauen hinaus aufs Wasser. Sie kehren uns den Rücken zu, als hätten sie unsere Neugier bemerkt. Ich haste eine Steintreppe hinauf und nehme einen mit Marmor ausgekleideten Aufzug hinauf in den zweiten Stock. Meine Absätze klappern auf poliertem Granit, als ich an der Glasfront vorbeieile, die Blick auf den Hafen und den Rand der Bucht bietet. Die Gerichtssäle rechts von mir verbergen sich hinter schweren, mit Nummern aus Messing versehenen,
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