Knochenerbe
ist er wohl mit deiner Freundin Lizanne Buckley ausgegangen.“
„Er geht mit Lizanne?“, fragte ich verblüfft. „Die habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen! Ich bezahle meine Stromrechnung inzwischen per Bankeinzug, also gehe ich nicht mehr hin, um bar einzuzahlen.“
Lizanne arbeitete am Empfang der örtlichen Stromgesellschaft, eine wunderschöne Frau und unglaublich umgänglich. Vielleicht im Kopf ein wenig langsam, aber verlässlich wie Honig, der unbeirrt seinen Weg über einen gebutterten Pfannkuchen findet. Im Vorjahr waren ihre Eltern auf tragische Weise ums Leben gekommen, was eine Zeit lang Falten auf Lizannes perfekte Stirn und Tränenspuren auf die magnolien weißen Wangen gezaubert hatte, aber nach einigen Monaten hatte ihr sanftes Gemüt auch diese grausame Veränderung in ihrem Leben verarbeitet und ihr die Willenskraft beschert, den Schrecken zu vergessen. Lizanne hatte das Haus ihrer Eltern verkauft, sich mit dem Ertrag ein eigenes angeschafft, das genauso aussah, und war wieder dazu übergegangen, Herzen zu brechen. Wenn Bubba mit der bekanntermaßen unberührbaren Lizanne ausging, dann war er nicht nur ein Optimist, sondern schätzte Schönheit mehr als alles andere. Was ich ihm nicht zugetraut hätte.
„Vielleicht haben Lizanne und er sich getrennt, und er möchte mit dir anbändeln?“ Lillian schaffte es immer wieder, ihr eigentliches Thema nicht aus den Augen zu verlieren.
„Nein. Ich gehe heute Abend mit Aubrey Scott aus“, sagte ich, ein geschickter Schachzug gegen das Verhör, der mir eingefallen war, während Lillian sich über Bubbas Heiratskarriere ausließ.
„Das ist der neue Priester der Episkopalkirche. Wir haben einander auf der Hochzeit meiner Mutter kennengelernt.“
Mein Trick funktionierte. Lillian freute sich so darüber, im Exklusivbesitz spannender Neuigkeiten zu sein, dass sie den ganzen Nachmittag über gut gelaunt war.
Wie viele Mitglieder der Episkopalkirche in Lawrenceton lebten, wurde mir erst bei meiner Verabredung mit ihrem Priester bewusst.
In der Schlange vor dem Kino trafen wir mindestens fünf von Aubreys Gemeindegliedern. Ich gab mir Mühe, Verlässlichkeit und Wohlbefinden auszustrahlen und wünschte nur, mein widerspenstiges Haar hätte sich bei meinem letzten Versuch, es zu bändigen, ein wenig kooperativer gezeigt. So umstand es mein Haupt wie eine flatternde, warme Wolke, und ich dachte nicht zum ersten Mal ernsthaft darüber nach, es abzuschneiden. Wenigstens meine Kleidung schien mir passend. Die dunkelblaue Hose und die leuchtend ockerfarbene Bluse waren ordentlich und neu, meine einfache Goldkette mit den passenden Ohrringen schlicht, ohne billig zu wirken. Dass Aubrey in Zivil erschienen war, trug erheblich zu meiner Entspannung bei. Allerdings sah er in Jeans und einfachem Hemd beängstigend anziehend aus, und ich ertappte mich bei eindeutig nicht kirchentauglichen Gedanken. Wir sahen uns eine Komödie an und mussten an denselben Stellen lachen, was ich als gutes Zeichen nahm. Einvernehmen herrschte auch noch beim Abendessen, wo Aubrey eine kurze Unterhaltung über die Hochzeit meiner Mutter zum Anlass nahm, bizarre Hochzeitsanekdoten zum Besten zu geben. „Bei meiner eigenen Hochzeit hat sich das Mädchen, das Blumen streute, übergeben müssen“, schloss er den wirklich witzigen Bericht.
„Sie waren verheiratet?“, fragte ich, zugegebenermaßen nicht gerade eine brillante Frage, die ich aber stellen musste, hatte Aubrey die letzte Anekdote doch nicht unabsichtlich in seine Geschichten eingeflochten.
„Ich bin Witwer. Meine Frau ist vor drei Jahren an Krebs gestorben“, antwortete er schlicht.
Woraufhin ich eindringlich meinen Teller betrachtete.
„Ich bin seitdem nicht oft ausgegangen“, fuhr er fort. „Mir kommt es fast vor, als hätte ich es verlernt.“
„Bisher halten Sie sich gut“, versicherte ich ihm.
Er lächelte. Ein äußerst attraktives Lächeln.
„Wenn ich nach den Geschichten gehen soll, die mir die Teenager in meiner Gemeinde erzählen“, fuhr er fort, „dann hat sich das Daten in den letzten zwanzig Jahren ziemlich verändert – da hatte ich zum letzten Mal eine Verabredung mit einem weiblichen Wesen. Ich will nicht – eigentlich wollte ich nur gleich für reinen Tisch sorgen. Mit einem Priester auszugehen scheint Sie nervös zu machen.“
„Da haben Sie recht.“
„Gut. Ich bin nicht vollkommen, und ich erwarte auch von Ihnen nicht, dass Sie es sind. Jeder von uns hat
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