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Knochenerbe

Knochenerbe

Titel: Knochenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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schlang ich noch eine frivole Schleife. Aber ansonsten entschied ich mich für mein altes Bibliothekarinnen-Outfit, das Amina so grässlich fand: einen schlichten, dunkelblauen Rock von neutraler Länge, dazu eine dunkelblau und weiß gestreifte Bluse, durchsichtige Nylons und unattraktive, aber bequeme Schuhe. Ich säuberte meine Brille, schob sie mir auf der Nase zurecht, nickte meinem Spiegelbild im großen Schlafzimmerspiegel aufmunternd zu und ging nach unten.
    Am liebsten wäre ich die Rampe vom Angestelltenparkplatz zur Bücherei hinauf getanzt, aber leider tanzte ich wirklich nicht gut.
    „Mein Gott, sind wir heute aber glücklich!“, begrüßte mich eine sauertöpfische Lillian, die sich gerade im Zimmer, wo wir die Bücher reparierten, einen Kaffee genehmigte.
    „Ja, sind wir!“ Ich deponierte meine Handtasche in meinem Schrank und ließ das Vorhängeschloss zuschnappen. Mit Ruhm hatte ich mich in meinen Jahren in der Stadtbücherei Lawrenceton nicht bekleckert, aber für eine Sache war ich bekannt: Ich hatte noch nie meinen Spindschlüssel verlegt. Ich heftete mir den kleinen Schlüssel entweder an den Rock, die Unterwäsche oder die Bluse. An diesem Tag heftete ich ihn mir ans Revers, ehe ich mich, einen fröhlichen Marsch vor mich hin pfeifend, zu Mr. Clerricks Büro begab – zumindest bildete ich mir ein, einen Marsch zu pfeifen.
    Die Tür meines Chefs stand halb offen. Ich klopfte und streckte meinen Kopf ins Zimmer. Mr. Clerrick saß schon an der Arbeit, vor sich einen Stapel Papiere, neben sich eine dampfende Kaffeetasse, im Aschenbecher eine qualmende Zigarette.
    „Guten Morgen, Roe“, sagte er. Mein Chef war verheiratet, Vater von vier Töchtern, und arbeitete in einer Stadtbücherei, war also vom Aufstehen bis zum Schlafengehen von Frauen umgeben. Hätte man da nicht erwarten dürfen, dass er mit weiblichen Wesen umgehen konnte? Weit gefehlt: Sam Clerricks größter und auffallendster Fehler lag in seiner Unfähigkeit, was Menschenführung betraf. Niemand konnte ihm vorwerfen, bestimmte Kollegen zu verhätscheln oder zu bevorzugen, er machte sich aus keinem von uns etwas. Er hatte keine Ahnung von unserem Privatleben und war nicht gewillt, Zugeständnisse an die Persönlichkeitsstruktur eines Mitarbeiters oder dessen Vorlieben bei der Arbeit zu machen. Ein Mann, den nie jemand mögen würde und dem niemand den Vorwurf machen konnte, unfair zu sein.
    Leute, die sich emotional so bedeckt hielten wie Sam Clerrick, hatten mich schon immer nervös gemacht. Zu kündigen schien mir auf einmal gar nicht mehr so leicht.
    „Ich werde meinen Job aufgeben“, erklärte ich leise, solange mich der Mut noch nicht ganz verlassen hatte. Unter Clerricks kaltem Blick schmolz meine Entschiedenheit allerdings gleich ein Stück dahin. „Ich arbeite ohnehin nur noch halbtags“, fügte ich eilig hinzu. „Ich habe nicht das Gefühl, dass Sie mich noch brauchen.“
    Er starrte mich weiter über seine Lesebrille hinweg unbewegt an. „Reichen Sie Ihre fristgerechte Kündigung ein oder teilen Sie mir mit, dass Sie heute aufhören wollen?“, erkundigte er sich schließlich. „Das weiß ich nicht“, antwortete ich verwirrt. „Auf Ihrer Liste stehen mindestens drei Bibliothekarinnen, die im Notfall als Vertretung einspringen“, fügte ich nach kurzem Nachdenken hinzu. „Zwei davon würden liebend gern fest als Teilzeitkraft eingestellt werden, das weiß ich genau. Ich teile Ihnen also mit, dass ich heute aufhöre. Ich arbeite noch meine Schicht, fünf Stunden, und danach komme ich nicht wieder.“
    „Liegt ein Problem vor, über das wir sprechen könnten?“
    Endlich traute ich mich in den Raum hinein. „Die Arbeit hier ist in Ordnung“, sagte ich. „Ich muss einfach nicht mehr arbeiten, finanziell gesehen. Mir ist nach einer Veränderung zumute.“
    „Sie brauchen das Geld nicht?“, fragte er überrascht.
    Wahrscheinlich war er der Einzige hier in der Bücherei oder sogar in ganz Lawrenceton, der nichts von meinem Geldsegen wusste.
    „Ich habe geerbt.“
    „Mein Gott, Ihre Mutter ist doch hoffentlich nicht gestorben?“ Der Gedanke erschütterte ihn so, dass er doch tatsächlich den Kugelschreiber aus der Hand legte.
    „Nein. Niemand, mit dem ich verwandt bin.“
    „Gut. Nun ja, ich sehe Sie ungern gehen, obwohl Sie letztes Jahr eine Weile unsere umstrittenste Mitarbeiterin waren. Seitdem ist allerdings einige Zeit vergangen.“
    „Dachten Sie damals daran, mir zu kündigen?“
    „Eigentlich hatte

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