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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Lahmer
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erstarrte. Was sollte er jetzt tun? Auf die Frage antworten? Aber vielleicht war das ja eine Falle?
    »Hallo, ich höre jemanden«, flüsterte die Stimme. »Antworten Sie bitte! Ich heiße Natascha Krüger.« Es raschelte.
    »Hallo.« Seine Stimme kratzte wie eine jener uralten, verstaubten Schallplatten, denn er hatte sie zuletzt fast nur noch zum Schreien benutzt. Das Rascheln kam näher.
    »Wer ist da?«, fragte die Frau.
    Er wollte gar nicht antworten, denn er hatte Angst vor den möglichen Folgen – vor allem Angst, dass es eine Falle war. Aber sein Mund gehorchte ihm nicht.
    »René«, hörte er sich sagen.
    »René?« Sie schwieg für ein paar Sekunden. »Oh, mein Gott.«
    Kannte sie ihn?
    »Wer sind Sie?«, erkundigte er sich heiser.
    »Ich bin Polizistin«, erwiderte sie mit etwas lauterer Stimme. »René, wir suchen dich überall. Und jetzt habe ich dich gefunden!«
    Seine Gedanken überschlugen sich. Polizistin ... mich gefunden. Doch seltsamerweise hatte sie nicht hoffnungsvoll geklungen, wie es in seiner Vorstellung bei einer Rettungsaktion sein sollte. Und wieso befreite sie ihn nicht umgehend? Er stellte sich vor, dass auf der anderen Seite der Wand eine Polizistin in Uniform stand und hinter ihr ein SEK der Bundespolizei. Sie drehte den Kopf und legte ihren Finger auf die Lippen, damit die Polizisten leise waren. Die Polizisten in den Filmen schlichen sich immer lautlos an, damit sie den Täter überwältigen konnten.
    Aber vielleicht wurden Opfer auch auf eine Weise gerettet, wie man es in Filmen nie zu sehen bekam.
    »René, ich bin gefesselt, ich kann mich kaum bewegen. Aber meine Kollegen werden uns finden; und dann werden wir befreit!«
    René glaubte, sich verhört zu haben. Wieso war die Polizistin gefangen? Das passte überhaupt nicht zu seinen Vorstellungen, wie Polizeieinsätze abliefen. Und wo war das SEK?
    »Wann werden wir befreit?« Seine Laute schepperten in seinen Ohren. Das Sprechen strengte ihn an, und seine Worte klangen merkwürdig fremd.
    Wieder raschelte es. Dann hörte er ein dumpfes Geräusch hinter der Wand, als würde die Polizistin dagegenstoßen.
    »Bald! Sie werden uns finden. René, was ist überhaupt passiert?«
    Er schloss die Augen. Erinnerungen flogen an ihm vorbei, durchzuckten sein Gedächtnis, ohne dass er sie zu fassen bekam. »Ich weiß es nicht.«
    »Doch, du weißt es. Und du kannst es mir erzählen. Bitte ...«
    Er wollte es ihr erklären, und so versuchte er, sich zu konzentrieren. Die an seinem inneren Auge rasch vorbeiziehenden Bilder wurden langsamer und verbanden sich zu einem Film – einem Film über das, was er durchlitten hatte. Er musste ihn betrachten, das Entsetzliche aushalten.
    »Ich bin von zu Hause abgehauen«, begann er schließlich zu erzählen. »Zuvor gab es totalen Stress, weil meine Mutter voll war und aufs Wohnzimmersofa gekotzt hat. Da ist mein Vater ausgerastet und hat sie angeschrien. Und meine Mutter hat zurückgeschrien; die haben sich total heftige Sachen an den Kopf geworfen. Weichei und Schlampe und so was. Und da hab ich es nicht mehr ausgehalten und ein paar Sachen gepackt und bin dann aus dem Haus rausgerannt. Ich wollte einfach nur noch weg, egal wohin. Und da ist mir Piet eingefallen ...«
    René verstummte. Warum erzählte er das alles? Er wusste doch immer noch nicht, ob das nicht eine Falle war. Vielleicht hatte sein Entführer eine Freundin gefragt, ob sie ihm hilft. Vielleicht saßen beide hinter der Bretterwand und lachten hinter vorgehaltener Hand über ihn. Oder sie nahmen seine Worte mit dem Handy auf. Er schluckte. Sein Handy war ja schon lange weg und sein Laptop auch. Dabei war das sowieso egal, denn sein Handy war vorher bereits leer gewesen. Und was sollte er hier als Gefesselter mit einem Laptop?
    Er musste erneut an Piet denken, und nun liefen ihm Tränen über die Wangen. Bei Piet hätte es so schön werden können!
    »Wer ist Piet?«, fragte die Polizistin.
    War es nicht einerlei, ob er jetzt weiterredete oder nicht? Vielleicht war es das letzte Mal, dass er überhaupt jemandem etwas erzählen konnte.
    »Piet ist ein Kumpel von früher. Vom Fußballverein. Und der lebt jetzt in Amsterdam auf einem Hausboot. Da wollte ich erst mal hin und dann gucken, wie es weitergeht.«
    »Wie wolltest du da hinkommen? Hast du ein Auto?«
    »Ein Auto? Ich hab ja nicht mal einen Führerschein! Nein, ich wollte trampen. Von Wilnsdorf aus. Eigentlich hatte ich vor, zum Autohof zu gehen; da sind nämlich immer viele

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