Knochenfinder
zu haben.«
Tines Worte und ihr freundliches Benehmen hatten den gewünschten Effekt: Frau Hornbach nickte erneut – diesmal zum Zeichen des Verstehens – und stampfte zur Bekräftigung mit ihrem Gehstock auf. Dass der Inhalt von Tines Äußerungen im Widerspruch zu Simons Verneinung der Frage stand, ob etwas passiert sei, schien die alte Frau nicht zu stören.
Für sie zählte wohl allein der Gedanke, Natascha helfen zu können, denn sie sagte sogleich: »Ich habe einen Schlüssel für die Wohnung von Frau Krüger. Wenn sie länger weg ist, kümmere ich mich um den Fritz. Warten Sie.«
Frau Hornbach drehte sich um und verschwand wieder in ihrer Wohnung. Mit einem leisen Klicken fiel die Tür ins Schloss. Hinter Nataschas Tür erklang ein hohes Maunzen. Fritz. Er miaute und machte scharrende Geräusche, so als würde er hektisch mit seinen Pfoten über den Boden kratzen. Simon wurde unruhig.
Plötzlich klingelte Nataschas Telefon, und der Kater wurde unvermittelt still. Der Anrufbeantworter sprang an, dann war eine weibliche Stimme zu hören. Simon verstand nicht, was sie sagte, vernahm aber den Tonfall. Die Sorge war deutlich herauszuhören. War das womöglich Nataschas Mutter? Ob Winterberg sie angerufen hatte? Fritz begann wieder mit dem Kratzen und miaute, als ob er gleich verhungern würde.
Tine rieb nervös die Fußknöchel aneinander. »Wo bleibt die denn? Ich will da jetzt rein!«
Simon nickte ergeben. Ihm war unter der Uniform unglaublich heiß, sodass er sie verwünschte und sie am liebsten ausgezogen hätte. Aber er hielt sich vor Augen, dass die Uniform eine entscheidende Rolle gespielt hatte, um das Vertrauen der Nachbarin zu gewinnen.
Es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, bis Frau Hornbach endlich wiederkam. Triumphierend hielt sie ein langes rotes Schlüsselband in der Hand und sah dabei Simon an. »Ich schließe Ihnen auf. Dann kann ich auch dem Fritz etwas zu fressen geben. Frau Krüger wird mir hoffentlich nicht böse sein wegen der Sache hier. Aber Sie sind ja schließlich ihr Kollege.« Dann wandte sie sich Tine zu. »Und Sie ihre Freundin.«
Mithilfe des Stocks humpelte sie schwerfällig zu Nataschas Tür. Vermutlich ein Hüftproblem, dachte Simon, während er dabei zusehen musste, wie sie den Schlüssel im Zeitlupentempo ins Schloss steckte und umdrehte. Kaum war die Tür einen Spalt geöffnet, erschien auch schon der weiße Kopf des Katers. Er betrachtete die drei Menschen vor der Tür und lief dann eilig zur Küche, den Schwanz in die Höhe gereckt.
Aufgrund der gehbehinderten Nachbarin betraten sie nur langsam die Wohnung. Simon blieb in der Diele stehen, während die beiden Frauen weitergingen. Der Kater erschien immer wieder im Kücheneingang, um die alte Frau zum Fressnapf zu locken. Als sie schließlich bei ihm war, hörte Simon, wie sie eine Schranktür öffnete und mit einer Metallschüssel hantierte. Das Maunzen wurde stärker, und die alte Frau sprach beruhigend auf das Tier ein. Derweil hatte Tine wie selbstverständlich das Schlafzimmer betreten und sich darin umgeschaut.
Simon fühlte sich unbehaglich. Vielleicht war es doch eine blöde Idee gewesen, in Nataschas Wohnung einzudringen.
»Sie scheint wirklich seit gestern nicht mehr hier gewesen zu sein«, sagte Tine und ging ins Wohnzimmer. »Schau dir nur an, wie hungrig ihr Kater ist. Und was wolltest du jetzt genau hier?« Sie blieb vor dem Fenster stehen und blickte nach draußen.
Simon wagte sich bis zur Tür des Wohnzimmers vor und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Beim letzten Mal war er ja nur in der Küche gewesen. Er kam sich vor wie ein Verräter, weil er einfach in Nataschas Reich eindrang, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte. Wahrscheinlich käme sie gleich zur Tür herein, mit Einkaufstüten beladen, und würde sie beide anschreien. Recht hätte sie. Die beiden Freunde, denen sie so sehr vertraute, drangen gemeinsam mit der Nachbarin in ihre Wohnung ein und schnüffelten bei ihr herum.
An der Wand links von ihm hingen Bilder von Drachen und Elfen und umrahmten einen Langbogen sowie einen Lederköcher voller Pfeile, der mit arabeskenförmigen Ornamenten verziert war. Er hatte gar nicht gewusst, dass sie Fantasyfiguren mochte. Eine plötzliche Wehmut überkam ihn.
Tine schien es zu bemerken. Sie kam zu ihm und strich ihm tröstend über den Oberarm. »Und, hast du schon gefunden, was du suchst?«
»Nein.« Er seufzte. »Sie hat mich gestern Abend angerufen, dass sie an diese Stelle im
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