Knochenfinder
Brummifahrer, die gerne mal jemanden mitnehmen.« Er stockte. »Aber weil ich so dringend pinkeln musste, bin ich vorher in die Büsche. Bei so ’nem Pendlerparkplatz.« René räusperte sich. Das Sprechen strengte ihn an, und sein Hals tat weh. »Und als ich wieder aus den Büschen rauskam, stand da vor mir ein Auto. Ich bin dann einfach zu dem Fahrer hin und hab ihn gefragt, ob er mich ein Stück in Richtung Dortmund oder Köln mitnimmt.«
René hielt kurz inne und schluckte. Die Bilder, die er vor seinem inneren Auge erblickte, waren schrecklich. Er wollte sie nicht sehen, wollte sich nicht an das Unaussprechliche erinnern. Aber die Bilder blieben, und sein Mund erzählte einfach weiter. »Er hat mich dann gefragt, was ich in den Büschen gemacht habe, und ich hab’s ihm erzählt. Da hat er gelacht und gesagt, dass er das auch immer behauptet. Ich fand diese Reaktion zwar irgendwie komisch, bin aber trotzdem eingestiegen.« Ein Hustenanfall unterbrach seinen Redefluss. Schweiß quoll ihm aus den Poren und fühlte sich klebrig auf der Stirn an.
»Und was passierte dann? Seid ihr vom Parkplatz losgefahren?«
René spürte, dass es ihm irgendwie guttat, das Erlebte zu erzählen. Das nahm dem Ganzen den Schrecken. Und vielleicht hatte er ja Glück und die Frau war wirklich eine Polizistin, die ihm helfen konnte. Doch dieser Gedanke war eigentlich Quatsch: Polizisten wurden nicht in Höhlen gefangen gehalten; sie konnten sich wehren, denn sie hatten Pistolen und Schlagstöcke. René atmete tief durch und sammelte sich, um weitererzählen können.
»Wir sind ein Stück gefahren, und dann fing er an, so blödes Zeug zu reden. Über heimliche Verstecke – und wie lange ich das schon mache und so. Ich habe zuerst gar nicht kapiert, worum es überhaupt ging.«
Plötzlich fühlte er Wut in sich aufkommen. Er sollte jetzt aufhören; er wollte nicht schon wieder das fürchterliche Geschehen erleben müssen. Doch der Film vor seinem inneren Auge lief weiter, ohne dass er ihn anhalten konnte. Wie im Fernsehen.
»Seine Stimme wurde ganz seltsam, so drohend und leise. Da hab ich gesagt, dass er anhalten soll und dass ich aussteigen will. Aber er hat nicht gestoppt, sondern ist mit hundertvierzig Sachen einfach weitergerauscht. Das war total unheimlich. Und dann hab ich ihn angeschrien.«
Der Film vor seinem inneren Auge ruckelte, wurde undeutlich und lief langsamer ab. René hätte ihn am liebsten aus dem Kopf verbannt, doch er zwang sich, die Bilder zu betrachten.
Mit stockender Stimme sprach er weiter. »Ich hab geschrien, dass er anhalten soll, ihm gedroht, ansonsten die Polizei anzurufen. Dann habe ich mein Handy hervorgeholt, aber er hat es mir sofort aus der Hand geschlagen. Und als ich mich danach gebückt habe, hat er mir eins übergebraten. Mit irgendwas Hartem, ich weiß nicht, was. Doch es hat sauweh getan. Und dann ist er von der Autobahn runtergefahren und hat auf so ’nem Rastplatz gehalten.« Der Hals kratzte vom Reden, und er musste sich räuspern; dennoch blieb das raue Gefühl. »Ich wollte schnell raus aus dem Auto, aber er hat die Zentralverriegelung geschlossen. Da konnte ich nicht mehr weg. Er redete wieder so wirres Zeug – behauptete, ich würde alles kaputt machen und wäre einer von denen und so. Und da hab ich richtig Angst bekommen.«
»Was war mit deinem Handy? Konntest du trotzdem jemanden anrufen?«
»Nein, der Scheiß-Akku war leer. Aber das habe ich nicht verraten.«
Er schwieg und dachte an den Rastplatz im Wald neben der Autobahn, irgendwo im Sauerland. Wenn er sich doch nur stärker gewehrt hätte! Er hätte dem Kerl den Schlüssel wegnehmen, ihn anspucken oder die Scheibe einschlagen sollen. Irgendetwas hätte er tun müssen, um aus dem Auto fliehen zu können. Doch er war wie gelähmt gewesen – starr vor Angst.
»René, was passierte dann?«
Die Polizistin klang gehetzt; sie wollte unbedingt so schnell wie möglich die ganze Geschichte hören. Vielleicht half es ja wirklich, wenn er es ihr erzählte, vielleicht würden ihn danach nicht immer und immer wieder die gleichen Gedanken quälen.
»Er hat mich k.o. geschlagen, dann weiß ich nichts mehr. Ich bin erst hier wieder aufgewacht. Gefesselt.« Er schluckte. Nein, er wollte auf keinen Fall mehr an das denken, was danach gekommen war. Doch etwas in ihm, das stärker war als sein Wille, drängte ihn zum Weitersprechen. »Und dann hat er mich betäubt und kam mit einem Messer an.«
Ein lautes Schluchzen entrann seiner
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