Knochenfinder
hatte offenbar die ernste Absicht, sie auch privat näher kennenzulernen, worüber Natascha sich sehr freute. Wenn sie schon wegen ihres Berufs in Siegen bleiben musste, sollte sie sich die Zeit hier auch so nett wie möglich machen. Und mit Simon ...
»Klar! Vielleicht passt es ja am Wochenende.«
Nach dem Einkauf im Supermarkt gingen sie zu einer der Bäckereien, wo sie in einer langen Schlange stehen mussten. Simon war so dicht hinter ihr, dass Natascha seinen Geruch wahrnahm. Unter dem herben Deo lag, kaum wahrnehmbar, ein leichter Moschusduft. Er schob sich als orange-gelbe Wellenbewegung vor ihr inneres Auge, als sie nach einer Weile die Lider schloss. Sie blendete das Stimmengewirr um sich herum aus und nahm Geruch und Bild in sich auf. Schade, dass man Gerüche nicht festhalten konnte, dachte sie.
»Wir sollten unsere Handynummern tauschen.«
Simons Stimme riss sie aus ihrer Gedankenwelt heraus, und Natascha schlug die Augen wieder auf.
»Na, geträumt?« Er holte sein Handy hervor, um ihre Nummer zu speichern. »Dann mach mal ’ne Durchsage!«
Doch im nächsten Moment wurde Natascha von einer der Bäckereiverkäuferinnen angesprochen. Sie kaufte das Gebäck für Winterberg und ging dann mit Simon ein paar Schritte zur Seite. Sie gab ihm ihre Nummer und tippte anschließend seine in ihr Handy.
»Ich muss jetzt leider schnell wieder zurück. Lass uns einfach telefonieren, okay?«
Simon nickte.
Als sie anschließend »Tschüs« sagte, hob er zum Abschied eine Hand und sah ihr lange und eindringlich in die Augen. Es war eindeutig, dass seine Gefühle für sie mehr als nur kameradschaftlicher Natur waren.
Kapitel 11
Er erwachte aus einem unruhigen Traum. Wölfe und große Hunde waren darin vorgekommen, Wesen wie die Nazgûl, die Ringgeister aus Herr der Ringe . Schwarz. Bedrohlich. Und sie hatten ihn verfolgt.
Schweiß stand auf seiner Stirn, Ponyfransen klebten auf seiner Haut. Er versuchte, an etwas anderes zu denken als an das klebrige Gefühl, das er am ganzen Körper verspürte. Überall lief ihm der Schweiß, obwohl es eigentlich furchtbar kalt war. Er hatte nicht den Eindruck, dass Sommer war, sondern Herbst – eine nasskalte Jahreszeit. Seine Nase konnte er kaum noch spüren, dafür aber die Füße. Er hatte das Gefühl, als würden die Zehen bald erfrieren. Warum nur war es hier so entsetzlich kalt? Wenn er noch länger hier läge, würden seine Zähne anfangen zu klappern.
Unaufhörlich liefen ihm Tränen über die Wangen, vermischten sich mit dem klebrig-kalten Schweiß und hinterließen einen salzigen Geschmack auf seinem Mund. Immer wieder leckte er sich mit der Zunge über die Lippen: Es beruhigte ihn, tröstete ihn, fast wie ein Sauger ein einsames Kleinkind. Er merkte, wie er immer wieder in eine andere Welt abdriftete. Manchmal hatte er Glück – dann war es eine Traumwelt ohne das Böse.
Doch auch seine Träume währten nicht lange, denn ständig wurde er von einem nervtötenden Tropfen aus dem Schlaf gerissen: Ein platschendes Geräusch auf feuchtem Stein holte ihn immer wieder in die Wirklichkeit zurück. Manche dieser Tropfen fielen nicht auf Stein, sondern auf seinen Kopf, auf den Oberkörper oder die Beine. Seine Kleidung war an einigen Stellen schon völlig durchweicht und fühlte sich kalt und schwer an. Kein Wunder, dass er so fror!
Er musste hier weg. Langsam, ganz vorsichtig, nahm er die Hände nach oben, besah sich im spärlichen grauen Licht die dunkelroten Striemen an den Handgelenken. Dort, wo vorher enge Fesseln tief in die Haut geschnitten hatten, befand sich nun ein einfaches Baumwollseil, das relativ locker um seine Arme gewickelt war. Es hielt seine Unterarme nicht mehr so eng zusammen, machte aber dennoch viele Bewegungen unmöglich.
Aber er musste sich so frei wie nur möglich bewegen können, wenn er hier wegwollte!
Wieder traf ihn ein Tropfen, zersprang auf seiner Stirn, hinterließ ein taubes Gefühl auf der Haut und kühlte Schweiß und Tränen. Er konnte es nicht mehr länger aushalten: Zumindest musste er versuchen, von hier fortzukommen.
Vorsichtig legte er sich auf den Bauch, stützte sich auf die Ellbogen und drückte sich ein Stück nach vorn. Dann zog er die Beine nach, die an den Fußgelenken eng aneinandergebunden waren. Die Beine verkrampften, und die Muskeln schmerzten von der Bewegung, aber immerhin konnte er die Beine hinter sich herziehen. Wie eine Nixe, schoss es ihm durch den Kopf. Ein seltsames Bild, aber es passte irgendwie, denn
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