Knochenfinder
wie Flummis, Gutscheine, Schlüsselanhänger oder so was. Ein Finder kann eines davon mitnehmen, wenn er etwas anderes mit vergleichbarem Wert zurücklässt. Das trägt man dann auch ins Logbuch ein.«
Natascha musste unwillkürlich an die vielen I was here -Inschriften auf Holzbänken oder an Aussichtsplätzen denken. Offensichtlich hatten überall auf der Welt Menschen das Bedürfnis, ihre Anwesenheit zu dokumentieren, wenn sie unterwegs waren.
Sie sah aus dem Fenster. Da die Autobahn kilometerlang auf hohen Betonpfeilern ruhte, konnte Natascha die staubig und träge wirkende Stadt relativ weit überblicken. Ihr Blick fiel auf die Reste des Industriestandortes Hüttental: auf grün bemalte Türme, rostbraune Hallen und Schlote. Monte Schlacko , der dunkle Schlackeberg im Hintergrund, wachte über die alten Hallen des Stahlwerks und ließ alles noch düsterer erscheinen. Hier konnte man noch erkennen, dass einst das Siegerland zu den bedeutendsten Regionen für Erzbergbau und Stahlverarbeitung in Europa zählte.
Sie fuhren am Krupp-Hochhaus vorbei, um das herum ein grünes Netz aufgehängt worden war. Baufahrzeuge standen auf dem eingezäunten Gelände, und Arbeiter waren mit der Entkernung des Gebäudes beschäftigt, das eigentlich mal ein Industriedenkmal werden sollte. In wenigen Monaten würde sich dort ein freies Baugrundstück befinden, das sich mit großem Gewinn verkaufen ließe; und die Stadt hätte einmal mehr bewiesen, wie sie mit ihrer Industriegeschichte umgeht. Aber das gab es schließlich überall.
Natascha riss sich von den trübsinnigen Gedanken los und kehrte wieder zu ihrem Gesprächsthema zurück. »Ist das Cachen eigentlich beendet, wenn man die Dose wieder versteckt hat, oder passiert dann noch was?«
»Anschließend trägt man seinen Fund noch im Internet ein«, berichtete Simon. »Jeder Cache hat eine eigene Site, und darauf kann man dann auch Bemerkungen zum Cache hinterlassen. Sobald der Finder den Cache im Internet geloggt hat, erscheint er auf seiner Found -Liste. Hinter jedem Cachernamen steht übrigens immer die Anzahl seiner gefundenen Caches.«
Natascha sah ihn leicht irritiert an. »Ich finde, das ist ein bisschen was für Nerds, oder? Ist es denn wichtig, wie viele Caches man gefunden hat? Ich denke, es geht um den Spaß beim Suchen!«
»Auch. Aber eine stattliche Anzahl von Leuten ist darauf aus, möglichst viele Caches zu finden und ständig die Anzahl ihrer Funde zu erhöhen. Andere suchen nur besonders schöne oder sehr komplizierte Verstecke. Das wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Und dann gibt es noch die sogenannten FTF-Jäger. First-to-find : Die sind total scharf darauf, als Erste einen Cache zu finden. Viele führen Listen darüber, welche Caches sie jeweils als Erste gefunden haben. Da finden regelrechte Wettrennen statt.«
»Das sind ja seltsame Auswüchse – so habe ich mir das wirklich nicht vorgestellt! Aber ich wusste ja auch gar nicht, wie verbreitet das Geocaching ist. Eigentlich habe ich geglaubt, das wäre nur ein Hobby von ein paar abgedrehten Typen, die gerne in Bundeswehrklamotten durch den Wald laufen.«
Simon lachte. »Nee. Das sind in der Mehrzahl ganz normale Leute, die ihre Freizeit gern draußen verbringen.«
Sie verließen Siegen und erreichten Kreuztal, eine Kleinstadt, hinter der sich der dicht bewaldete Kindelsberg erhob. Simon bog von der Stadtautobahn ab, auf der sich der Verkehr deutlich verringert hatte, doch anschließend wurde sein Wagen ein Teil des Lindwurms, der sich in Richtung Kreuztaler Innenstadt schlängelte.
»Erzähl mir mehr von den Leuten beim Geocaching«, bat Natascha. »Wer macht das?«
»Ach, das sind inzwischen Leute aus allen Teilen der Gesellschaft. Männer, Frauen, Jugendliche, Singles, Familien, Beamte, Angestellte, Arbeiter, Arbeitslose, Studenten, Handwerker. Ganz Deutschland ist übersät mit versteckten Dosen, und du kannst heute fast überall auf der Welt Caches suchen. Das ist im Urlaub besonders nett, die Fundstücke kannst du dann wie Souvenirs mit nach Hause nehmen.«
Natascha fragte sich, wie viele Geocacher sie wohl schon beim Suchen gesehen hatte, ohne zu erkennen, was sie tatsächlich vorhatten. Wahrscheinlich war nicht jeder, den sie mit einem Buch auf einer Bank gesehen hatte, nur ein Leser gewesen. Manch einer wartete vielleicht einfach nur darauf, sich wie zufällig bücken zu können, um einen Hinweis zu finden.
Auf dem Wanderparkplatz am Kindelsberg standen nur zwei Kleinwagen. Aufkleber
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