Knochenfunde
nehmen.«
»Nein, bitte, tun Sie das nicht. Glauben Sie mir, in Ihrem Arbeitszimmer werden Sie alles finden, was Sie brauchen«, sagte Rick.
»Der Senator möchte, dass Sie hier arbeiten.«
»Warum?«, fragte Galen.
»Weil die Kirche auf einer Insel steht. Senator Melton war sehr beunruhigt wegen des verschwundenen Skeletts. Er möchte völlige Sicherheit für Ms Duncan, und die Sicherheitsleute, die wir angeheuert haben, meinten, auf einer Insel könnten sie sie besser schützen. Ich verspreche Ihnen, ich werde alles tun, was ich kann, um Ihnen die Arbeit in der Kirche angenehm zu gestalten.«
»Na dann strengen Sie sich mal an.« Galen trat näher, nahm eine kleine Stablampe aus seiner Tasche und leuchtete in den Sarg. »Es ist verdammt kalt hier drinnen. Und feucht dazu.«
»In ihrem Arbeitszimmer ist es warm.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte Eve abwesend, den Blick auf den Schädel gerichtet. Sie konnte immer noch nichts Genaues erkennen, aber die Stablampe war besser als nichts.
Der Schädel war zwar durch Feuer geschwärzt, aber er war in-
takt, außer dass die Zähne fehlten und der Unterkiefer zerschmettert war. Abgesehen davon gab es keine sichtbaren Risse oder Verlet-zungen. Das war ein Glück.
»Es ist der Schädel eines Mannes, eines weißen Mannes. Der
Schädel ist überraschend gut erhalten. Ich denke, ich werde damit arbeiten können.«
»Der sieht aber ziemlich mitgenommen aus.« Galen zeigte auf
den zerschmetterten Unterkiefer. »Und die Zähne fehlen. Der hat einiges hinter sich. Erinnert mich an einen Gladiatorenfilm.«
»Halten Sie den Mund, Galen«, sagte Eve. »Ich muss unvorein-
genommen sein, wenn ich das Gesicht rekonstruiere. Ich möchte nicht, dass er am Ende aussieht wie Russell Crowe.«
»Toller Film.« Galen zwinkerte Rick zu. »Sie können mir später sagen, für wen Sie ihn halten – wenn sie nicht in der Nähe ist.«
Rick lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich tappe ebenso im
Dunkeln wie Sie. Ich kann nur raten.« Er schaute Eve an. »Ich habe in Ihrer Werkstatt einen Ablagetisch und zwei Arbeitstische aufge-stellt. Soweit ich informiert bin, brauchen Sie eine Videokamera sowie einen Computer, um den Fortgang Ihrer Arbeit zu dokumen-tieren. Ich habe mich mit dem gerichtsmedizinischen Institut an der Louisiana State University in Verbindung gesetzt, und ich glaube, ich habe alles korrekt installiert. Sobald Sie so weit sind, werde ich Ihnen den Schädel bringen.«
Offenbar konnte er es nicht erwarten, dass sie mit ihrer Arbeit begann. Sein Eifer gefiel ihr, aber sie war noch nicht bereit, sich von dem Schädel zu trennen.
»Galen, würden Sie Rick begleiten und die Werkstatt für mich in Augenschein nehmen, während ich den Schädel noch ein bisschen genauer untersuche?«
»Klar.« Er reichte ihr die Lampe. »Nicht gerade die spannendste Aufgabe, die mir je aufgetragen wurde, aber ich bin Ihnen stets zu Diensten.«
»Danke.« Sie leuchtete mit der Lampe in die Nasalhöhle. »Auf
jeden Fall ein Weißer…«
»Kommen Sie Rick, wir stören hier nur.«
Irgendwie nahm Eve wahr, dass die beiden die Kapelle verlassen hatten und sie allein war. Es spielte keine Rolle. Ihr Unbehagen war in dem Moment verflogen, als sie den Schädel erblickt hatte. Er war einfach einer von den Verlorenen. Es war egal, ob es sich um Bently handelte oder um irgendeinen armen Obdachlosen. Am Ende war er ebenso zum Opfer geworden wie die kleine Carmelita, deren Rekonstruktion sie gerade beendet hatte. Wenn sie den Zustand des Schä-
dels bedachte und die Tatsache, dass die Zähne nach dem Tod he-rausgerissen worden waren, war er vielleicht noch ein bedauernswerteres Opfer gewesen.
Zeit, ihn kennen zu lernen. Zärtlich berührte sie den Schädel.
»Wie soll ich dich nennen?« Sie wusste, dass es jedem Außenste-henden verrückt erscheinen würde, aber sie hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, allen Schädeln, an denen sie arbeitete, Namen zu geben. Jeder hatte eine Geschichte und ein Leben gehabt. Sie hatten gelacht und waren von jemandem geliebt worden, sogar dieser arme, ramponierte Krieger. Offenbar hatte er seinen letzten Kampf nicht gewonnen, aber sie hoffte, dass er auch ein paar Siege davongetragen hatte.
»Victor? Kein schlechter Name.« Sie nickte. »Mir gefällt er.«
Vorsichtig schloss sie den schweren Sargdeckel. »Wir sehen uns morgen, Victor. Und dann schauen wir mal, ob wir dich nach Hause bringen können.«
»Fertig?« Galen stand im Durchgang. »Rick hat ganze
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