Knochenfunde
kann. Sie ist eine nette Frau.
Sie hat die Zumutungen, die mein Job mit sich bringt, erstaunlich lange ausgehalten, bevor sie die Flucht ergriffen hat.« Er schürzte die Lippen. »Irgendwie bin ich Ihnen ähnlich. Ich bin auch von meiner Arbeit besessen. Ich wünschte allerdings, ich hätte meine Frau und meine Kinder zum Wichtigsten in meinem Leben gemacht. Wissen
Sie, wir Journalisten haben einen schlechten Ruf. Aber häufig sind wir diejenigen, die die Öffentlichkeit vor den Bösewichtern schützen.«
»Meine Erfahrungen mit Ihren Kollegen waren nicht unbedingt
positiv, aber ich kenne einige Journalisten, die ich respektiere.«
Plötzlich fiel Eve etwas ein. »Und was ich eben gesagt habe, bleibt unter uns. Ich kann es überhaupt nicht leiden, von der Presse zitiert zu werden.«
»Keine Sorge, ich werde es für mich behalten. Ich verspreche
es.«
Sie glaubte ihm. »Danke.«
»Danke, dass Sie mir erlaubt haben, Ihnen Gesellschaft zu leisten.« Er schaute sie an. »Was den Cabal angeht, scheinen Sie ja alle äußerst skeptisch zu sein.«
»Jennings scheint die Sache ernst zu nehmen.«
»Aber Sie nicht.«
»Ich halte es für möglich, dass eine solche Organisation existiert.«
»Es ist nicht nur möglich, es ist eine Tatsache. Etienne hat mir die Wahrheit gesagt. Da bin ich mir ganz sicher. Jedes Mal, wenn ich heutzutage von einem neuen Krisenherd wie Bosnien zum Beispiel höre, frage ich mich automatisch, ob der Cabal mal wieder einen Krieg benutzt, um seine Interessen durchzusetzen.«
»Also das kann ich mir kaum vorstellen. Einen Krieg anzuzetteln ist etwas ganz anderes als die Wirtschaft zu manipulieren.«
»Kriege sind Instrumente der Wirtschaftspolitik. Hinter allem Patriotismus und Idealismus verbirgt sich immer das große Geld.
Krieg macht mir Angst. Der Cabal macht mir Angst.« Grimmig
presste er die Lippen zusammen. »Und nicht zu wissen, was in Boca Raton ausgebrütet wird, macht mir am meisten Angst. Es muss etwas ziemlich Schlimmes sein, um Etienne einen derartigen Schrecken einzujagen, dass er sich an mich gewandt hat.«
Er glaubte, was er sagte, und allmählich begann auch Eve es zu glauben. Und das löste dieselbe Unruhe in ihr aus, die Nathan umzu-treiben schien. Gott, das hatte ihr gerade noch gefehlt. Instinktiv schob sie den Gedanken beiseite und konzentrierte ihren Blick auf den Schädel vor ihr. »Vielleicht hat Etienne die Wahrheit gesagt.
Vielleicht stimmt alles, was er über den Cabal berichtet hat. Aber sich mit dem Cabal auseinander zu setzen ist Aufgabe des FBI. Meine ist es, Victor zu rekonstruieren. Ich weiß, dass Hebert irgendwo da draußen rumläuft und Menschen ermordet und dass Melton wahrscheinlich bis zum Hals in der Sache drinsteckt. Mehr brauche ich im Moment nicht zu wissen.«
»Es muss etwas Tröstliches haben, sich so konzentrieren zu können.« Nathan stand auf und streckte sich. »Gott, bin ich steif. Ich glaube, ich werde alt. Vielleicht sollte ich mal in den Garten gehen und mir ein bisschen die Beine vertreten.« Er ging in Richtung Treppe. »In einer halben Stunde komme ich zurück und bringe Kaffee mit.« Einen Augenblick später hörte Eve, wie die Tür hinter ihm zuschlug.
Was für ein seltsamer und komplizierter Mann, dachte sie, als sie sich wieder Victor zuwandte. Anfangs hatte sie sich abwechselnd über ihn amüsiert und geärgert, wenn er sich mit Galen anlegte, aber seit er beschlossen hatte, ihr in ihrem Arbeitszimmer Gesellschaft zu leisten, hatte sie angefangen, ihn zu mögen und zu respektieren. Er war intelligent und aufmerksam, und seine rührende Ehrlichkeit machte ihn liebenswert.
»Nathan hat mich gebeten, herunterzukommen und dir Gesell-
schaft zu leisten.« Joe erschien auf der Treppe. »Nein, er hat mich nicht gebeten, er hat mir den Befehl erteilt. Er wollte nicht, dass du allein bist.«
Eve zwang sich, entspannt zu bleiben. »Er hat einen übertriebenen Beschützerinstinkt. Anscheinend hält er mich für völlig hilflos.
Aber ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Ich weiß. Ich habe es dir beigebracht.«
Ja, das hatte er. Während der ersten fünf Jahre nach Bonnies Tod hatte er sie in Selbstverteidigung ausgebildet. Sie war hilflos und verzweifelt gewesen, und er hatte sie stark gemacht. Sie wandte sich von ihm ab und schaute Victor an. »Du hättest ja nicht auf Nathan zu hören brauchen.«
»Ich bitte dich. Mein Beschützerinstinkt ist ebenfalls ziemlich ausgeprägt, wie du weißt.« Er zögerte. »Wenn du nicht
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