Knochenfunde
versuchte man, einer Rübe Blut abzuzapfen. Eve hatte genug. Sie streckte ihre Hand aus. »Ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Vielen Dank für alles.«
»Oh.« Tanzer schüttelte ihre Hand. »Sind Sie sicher, dass Sie zurechtkommen?«
»Ganz sicher. Vielen Dank.«
»Nun, sollten Sie es sich anders überlegen, brauchen Sie nur in meinem Büro anzurufen. Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.«
»Sehr freundlich.« Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, ging sie an den Schreibtisch, nahm den Telefonhörer ab und wählte die Nummer, die er auf der Visitenkarte notiert hatte.
»Ich bringe Ihnen Ihre Handtücher.« Marie stand in der Tür.
»Danke. Ich komme gleich nach unten, dann kann ich Ihnen helfen.«
»Warum? Das ist meine Aufgabe«, erwiderte Marie und ver schwand im Badezimmer.
Da Melton im Hotel nicht zu erreichen war, hinterließ Eve ihm eine Nachricht auf seiner Mailbox. Wunderbar. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie hatte keine Lust, den ganzen Abend Däumchen zu drehen. Sie wollte arbeiten, bis sie so erschöpft war, dass sie schlafen konnte.
»Soll ich Ihnen beim Auspacken helfen?« Marie war zurück ins Zimmer gekommen.
»Nein, danke. Ich habe nicht viel mitgebracht.« Eve lächelte.
»Außerdem möchte ich Sie nicht ausnutzen. Das gehört schließlich nicht zu Ihren Aufgaben.«
»Es sei denn, ich mache es zu meiner Aufgabe.« Jetzt lächelte Marie auch. »Als Dienstpersonal zu arbeiten ist keine Schande. Es ist harte, ehrbare Arbeit. Ich habe einfach keine Lust, mich von einem trou du cul von oben herab behandeln zu lassen.« Sie wandte sich zum Gehen. »In einer halben Stunde ist das Abendessen fertig.«
Was war ein trou du cul? Eve konnte es sich beinahe denken, aber sicherheitshalber würde sie es in einem Französisch-Englischen Wörterbuch nachschlagen, falls sich in der Bibliothek, die Tanzer erwähnt hatte, eins finden ließ.
Sie trat wieder hinaus auf den Balkon und schaute zum Eingang der Kirche hinüber. Vielleicht war ja doch jemand da. Vielleicht sollte sie nach dem Abendessen einen kleinen Spaziergang dorthin machen…
Aber das Abendessen würde in einer halben Stunde fertig sein, und vorher wollte sie noch duschen. Sie musste sich beeilen. Falls sie zu spät kam, würde es sie nicht wundern, wenn Marie das Essen in den Sumpf warf.
Und was war ein trou du cul…
»Köstlich.« Eve aß den letzten Bissen von ihrem Teller. »Was ist das?«
»Spezzatino di Manzo coi Fagioli«, sagte Marie.
»Und das ist?«
Marie grinste. »Rindfleischeintopf.«
»Ist das ein regionales Gericht?«
»Nein, ein italienisches. Ich bin nicht nur auf die Cajun-Küche spezialisiert.« Sie verzog das Gesicht. »Tanzer hatte wahrscheinlich eine ganz bestimmte Schublade für mich parat, aber ich bin nicht so einfach gestrickt, wie er glaubt.«
»So einen Rindfleischeintopf habe ich noch nie gegessen. Was ist da drin?«
»Alles. Aber mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. Es ist das Rezept meiner Mutter und ein großes Geheimnis. Wenn ich es Ihnen verraten würde, müsste ich Sie anschließend töten.«
Eve wunderte sich inzwischen nicht mehr über den makabren Humor der Frau. Es machte ihr Spaß, sich mit Marie zu unterhalten, sie hatte offenbar eine Menge zu erzählen. Marie war eine ungewöhnliche Frau, und das war das Mindeste, was man von ihr sagen konnte. »Um Gottes willen. Ihre Mutter hat Ihnen das Kochen beigebracht?«
»Zum Teil. Nach der Uni bin ich in New Orleans auf eine Kochschule gegangen. Ich wollte eine großartige, temperamentvolle Kö chin werden, eine die die Welt mit ihren außergewöhnlichen Kreationen beeindruckt.«
»Nun, mich haben Sie jedenfalls beeindruckt. Sie haben es sich anders überlegt?«
Marie zuckte die Achseln. »Manchmal läuft das Leben eben an ders. Ich wurde schwanger und musste mich auf die neue Situation einstellen. Wenn man für ein Kind sorgen muss, kann man keine großen Risiken eingehen.«
»Sie haben ein Kind?«
»Einen Jungen. Na ja, er ist inzwischen erwachsen.
Pierre studiert an der Tulane University in New Orleans. Er ist sehr warmherzig und intelligent. Er wird mal ein guter Arzt, aber das kostet eine Menge Geld.« Sie schaute Eve an. »Haben Sie Kinder?«
»Ich habe eine Adoptivtochter, Jane. Sie ist erst zwölf, aber sie ist ein wunderbares Mädchen.«
»Dann verstehen Sie sicher, was ich für Pierre empfinde«, sagte Marie ernst. »Ich würde alles für ihn tun. Er ist mein Ein und Alles.«
»Ja, das verstehe
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