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Knochenfunde

Knochenfunde

Titel: Knochenfunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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ich jemanden aufschrecken wollte. Jemanden am wundes-ten Punkt zu treffen, ist immer die effektivste Methode. Wie sieht der Tagesablauf der Kleinen aus?«
    »Ihre Großmutter bringt sie jeden Tag zur Schule und holt sie wieder ab. Vor der Schule führt die Kleine ihren Hund aus, und nach der Schule noch mal mit ihrer Großmutter zusammen. Danach verlässt sie das Haus nicht mehr.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »In etwa einer Viertelstunde müssten sie im Park auftauchen. Soll ich Sie gleich dorthin bringen?«
    »Ja.« Er wollte das Mädchen und die Großmutter sehen, damit er sie jederzeit erkennen würde.
    »Es wundert mich, dass Quinn nicht mit Ihnen gekommen ist.«
    »Er hat zurzeit andere Prioritäten.« Das war weit untertrieben.
    Quinn war zweifellos ganz auf Eve fixiert. »Und er glaubt, dass das Kind in Sicherheit ist. Er vertraut seinen Kumpels von der Polizei.«
    »Aber er weiß, dass Sie hier sind?«
    Galen nickte. »Er glaubt, ich vergeude meine Zeit.« Vielleicht hatte Quinn ja Recht. Oberflächlich betrachtet schien alles in Ordnung zu sein, aber Galen hatte ein ungutes Gefühl, und er hatte sich immer auf seinen Instinkt verlassen können. »Los, beeilen wir uns.«

Zwölf

    Er ging, Gott sei Dank.
    Eve schaute Joe nach, wie er die Treppe hinaufstieg. Die Art, wie er sich bewegte, hatte sie schon immer angezogen. Diese sinnliche Geschmeidigkeit, die so anders war als seine Ruhe, wenn er entspannt dasaß. Aber selbst diese Ruhe war nie passiv. Stets spürte sie seine Intelligenz, die Gefühle, die sich hinter seinem fast ausdruckslosen Gesicht verbargen.
    »Ich habe keine Milch mitgebracht«, sagte Nathan. »Sie trinken Ihren Kaffee doch schwarz, nicht wahr?«
    »Wie bitte?« Schnell nahm sie die Tasse, die Nathan auf ihrem Arbeitstisch abgestellt hatte. »Ja, ich trinke ihn schwarz.«
    Sie hörte, wie Joe die Tür am oberen Treppenabsatz schloss.
    »Dachte ich mir doch, dass ich das richtig in Erinnerung hatte.«
    »Alles in Ordnung.« Ja, jetzt war alles in Ordnung. Joe war weg.
    Sie konnte ungestört arbeiten.
    Sie richtete ihren Blick wieder auf Victor. Verdammt, sie musste sich konzentrieren.
    »Gehen Sie ins Bett«, forderte Eve Nathan auf. »Es ist fast Mitternacht, und Sie sitzen schon den ganzen Tag hier.«
    »Wenn Sie Feierabend machen, gehe ich auch schlafen. Ich störe Sie doch nicht, oder?«
    »Nein, Sie sind sehr zurückhaltend.« Eve nahm ihre Brille ab und rieb sich die Augen. »Aber es ist Unsinn, mich hier bewachen zu wollen. Ich bekomme ja schon jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich Sie ansehe.«
    Nathan deutete ein Lächeln an. »So wie Sie in Ihre Arbeit vertieft sind, haben Sie mich doch seit sechs Stunden überhaupt nicht wahrgenommen. Wie läuft’s denn?«
    »Ganz gut.« Eve schaute Victor an. »Allmählich bekommt er ein Gesicht.«
    »Sie sind ja ganz aufgeregt. Werden Sie heute Nacht fertig?«
    »Das würde ich gerne, aber ich bin zu müde. Ich sollte Schluss machen für heute.« Liebevoll streichelte sie den Schädel. »Aber ich bin so nah dran, verdammt.«
    »Darf ich ihn ansehen?«
    »Nein, Sie würden noch nichts erkennen. Erst im letzten Stadium zeigen sich die eigentlichen Gesichtszüge.« Sie wischte ihre Hände an einem Lappen ab. »Aber morgen Abend wird es so weit sein.«
    »Gut.« Nathan betrachtete Victors Hinterkopf. »Warum sind diese letzten Stunden so wichtig?«
    »Weil ich mich dann auf meinen Instinkt verlassen muss. Es ist, als würde das Gesicht, das ich rekonstruiere, mich leiten, als würde es mir sagen, was ich tun muss.« Sie verzog das Gesicht. »Seltsam, nicht?«
    Nathan zuckte die Achseln. »Ich hab schon verrücktere Ge schichten gehört. Der ganze Prozess ist mir ein Rätsel. Ich verstehe nicht, wie Sie das machen.«
    Eve lächelte. »Vor allem muss man mit Leib und Seele bei der Sache sein. Dann ist es ganz einfach.«
    »Klar. Deswegen arbeiten Sie sich ja auch dumm und dusselig.
    Weil es ganz einfach ist.«
    »Kein Beruf ist leicht, wenn man wirklich gut sein will.
    Sie sind doch auch von Ihrer Arbeit besessen, sonst würden Sie nicht versuchen, den Pulitzerpreis zu bekommen.«
    »Das ist der Gipfel einer Journalistenkarriere. Ich wollte nie etwas anderes sein als Journalist. Vielleicht schreibe ich irgendwann auch mal ein Buch oder zwei. Ich bin ein einfaches Gemüt.«
    »Ja, sicher.«
    »Sie dagegen haben sich für einen Beruf entschieden, der bestenfalls als makaber gilt.«
    »Alle meinten, nach dem Mord an Bonnie würde

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