Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
das kauernde Aussehen einer Hyäne hatte. Einer Hyäne mit Flügeln. Denn die gewaltigen Schultern waren mit einer dicken Matte aus federartigem schwarzem Pelz verdeckt, einem Pelz, der sich jetzt, im Moment des Angriffs, wie ein Umhang blähte.
Erneut stand Carter da wie vom Donner gerührt.
»Der Greif«, sagte al-Kalli nur und schob die mit Rubin besetzte Manschette zurück, um einen Blick auf seine Uhr zu werfen. »Eines gibt es noch, dass …«
Doch er wurde von den Rufen eines Mannes unterbrochen, dessen Stimme mit Angst und Sorge erfüllt war. Al-Kalli wirkte ungehalten.
»Mr al-Kalli, Mr al-Kalli«, rief der Mann und bekam kaum genügend Luft, »warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie kommen? Wenn Sie mich nur informiert hätten, dass Sie kommen!«
Der Mann, ein näselnder Araber in einem offenen Laborkittel, sah aus, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen. Keuchend eilte er auf sie zu. Carter bemerkte, dass Captain Greer seinem neuen Boss einen Blick zuwarf, als frage er sich, ob er in dieser Sache etwas unternehmen solle.
»Wir brauchen dich nicht, Rashid«, sagte al-Kalli. Genauso gut hätte er dem Mann ins Gesicht schlagen können. Rashids Miene gefror, doch dann, als er Carter erblickte, diesen Fremden in seinem Herrschaftsbereich, riss er sich zusammen.
»Dies ist Dr. Cox«, erklärte al-Kalli, und Rashid nickte hastig. »Er wird uns helfen.«
»Uns helfen?«, murmelte Rashid. »Mit den … Tieren?« Mit Panik im Blick sah er Carter an. »Sind Sie ein Doktor der Veterinärmedizin, Sir?«
»Ich bin Paläontologe«, erwiderte er.
Es sah aus, als bräuchte Rashid ein paar Sekunden, um diese Information zu verarbeiten. Als er damit fertig war, sah er allerdings genauso verwirrt aus wie vorher.
»Kommen Sie, Dr. Cox«, sagte al-Kalli und ging zügig auf das letzte Gehege am anderen Ende der Anlage zu. »Sie müssen noch das Prachtstück meiner Sammlung sehen.« Carter und der Rest des Gefolges schlossen sich al-Kallis forschen Schritten an. Beim letzten Gehege trat al-Kalli selbst in den umzäunten Vorkäfig. »Dies«, sagte er und machte Platz, um Carter ebenfalls eintreten zu lassen, »ist das älteste und kostbarste Geschöpf unserer Sammlung.«
Im Moment ruhte es, halb im Inneren, halb vor einer gewaltigen Felsenhöhle, die sich mehrere Meter über dem Boden befand. Es hob die massive, schuppige Schnauze und schnalzte herablassend mit der langen, ledrigen Zunge. Aus gelben Augen starrte es kalt durch das riesige Gehege zu ihnen hinüber.
»Der Mantikor«, setzte al-Kalli mit unbewegter Stimme an. »Es ist eine Abwandlung des alten persischen Wortes für Menschenfresser.«
Doch Carter hörte ihn kaum. Er schaute auf eine Kreatur, die noch älter war als die Dinosaurier. Ein Reptil und Säugetier zugleich, ein Tier, dessen Knochen der Heilige Gral der Paläontologen war. Dieses Ungeheuer hatte vor zweihundertfünfzig Millionen Jahren über die Erde geherrscht, der T. rex seiner Zeit. Der unbarmherzigste und erfolgreichste Räuber des Paläozoikums. Im Zuge des großen Massensterbens im Perm vom Antlitz der Erde verschwunden. Benannt nach den schrecklichen Schwestern der griechischen Mythologie, die so furchterregend waren, dass allein ihr Anblick tödlich war.
Und jetzt sah er dieses Wesen direkt vor sich.
Doch es war nicht, wie al-Kalli es sich wünschte, der Mantikor der Legenden. Kein mythisches Geschöpf.
Sondern ein Vertreter jener Art, die Paläontologen, auf der Grundlage von Knochen- und Zahnsplittern, einigen der ältesten Fossilien der Welt, Gorgonopsia getauft hatten. Oder Gorgon.
Doch diese Knochen hier bewegten sich, diese Zähne waren feucht, und diese Augen versprühten eine Bösartigkeit, die so alt war wie die Erde selbst.
29. Kapitel
Sadowski hatte den Wagen ein paar hundert Meter vom Torhaus entfernt auf der Straße geparkt, wo die tief überhängenden Zweige einer kalifornischen Lebenseiche zusätzlichen Schutz boten. Seit über drei Stunden hockte er schon hier, und hin und wieder hatte der Wind die Klänge von Geigenmusik zu ihm herübergeweht. Doch jetzt hatte die Musik aufgehört, und Sadowski hoffte, dass die Party bald zu Ende war.
In seinem Schoß lag eine Karte von Greater L. A., so gefaltet, dass die West Side zu sehen war. Die Stellen, die er und Burt als gute Startpunkte ausgewählt hatten, waren mit roten Kreuzen markiert. Mehrere davon befanden sich hier in der Gegend, und Sadowski hatte auf eigene Faust noch ein paar weitere hinzugefügt.
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