Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
Riesendummheit begangen zu haben und dass er ganz allein überlegen musste, was er als Nächstes tun sollte. Außerdem war es ihm peinlich. Er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendetwas in Beth’ Obhut, vor allem etwas so Unersetzliches, jemals zu Schaden käme oder gar verlorenginge.
Joey blickte mit diesen klaren graublauen Augen zu ihm auf und strampelte fröhlich mit den Füßen in der Luft. Carter musste an all die Geheimnisse und Rätsel denken, die auch ihn immer begleiten würden. Die Ärzte hatten Carter sehr klar und deutlich gesagt, dass er nicht in der Lage sei, ein Kind zu zeugen. Trotzdem war Joey jetzt da. Und obwohl Beth und er geglaubt hatten, dass sie, indem sie New York verließen, auch die entsetzliche Geschichte mit Arius hinter sich lassen könnten, der sie monatelang verfolgt hatte, argwöhnte er jetzt, dass er sich darin getäuscht hatte. Oder wusste er es? Wusste er es und leugnete es nur vor sich selbst? War das Leben so, das alles, was man tat, und alles, was einem widerfuhr, jede Entscheidung, die man jemals traf, einen für den Rest des Lebens verfolgte? Los Angeles sollte ein Neuanfang sein, aber waren Neuanfänge überhaupt möglich?
Joey brabbelte etwas, das sich verdächtig nach »Dada« anhörte, und Carter lachte. »Redest du mit mir?«, sagte er in bester De-Niro-Manier. »Redest du mit mir?«
Joey lachte und patschte mit den Ärmchen auf die Matratze. Doch seinen Versuch wiederholte er nicht.
Carter beugte sich ins Kinderbett hinunter und küsste mit geschlossenen Augen die glatte, von Sorgen unberührte Stirn. Die Haut war kühl und trocken, und sie duftete gut. Ein paar Sekunden verharrte Carter in dieser Position, vornübergebeugt wie ein Kranich, der in einem Wasserbecken fischte, und spürte, wie Joey mit seinen winzigen Fingern an seinen Haaren und Ohrläppchen zog. Das, sagte er sich, ist alles, was zählte. Das … und Beth. Er konzentrierte sich ganz auf diesen Moment und verbannte alle anderen Gedanken aus seinem Kopf. Das … und Beth. Das … und Beth. Bis er, für den Bruchteil einer Sekunde, plötzlich das Gefühl hatte, in einem grünen Wald zu stehen, der nach Regen duftete.
»Musstest du seine Windel wechseln?«, fragte Beth von der Tür aus.
Carter öffnete die Augen und drehte sich um. Beth hatte ihren blauen Morgenmantel an und rubbelte sich die Haare trocken. »Seine Windel wechseln?«, sagte Carter, und das Bild vom Wald verblasste. »Nein. Es ist alles in Ordnung.«
Beth stellte sich neben ihn und schaute hinunter ins Kinderbett. »Ja, das ist es, oder?«, sagte sie.
Doch etwas in ihrem Tonfall klang falsch. »Du hörst dich an, als wärst du dir nicht vollkommen sicher.«
Beth schüttelte den Kopf – oder schüttelte sie nur ihr Haar trocken? – und sagte: »Natürlich bin ich mir sicher. Wie kannst du nur so etwas sagen!«
Carter fühlte sich getadelt und schwieg. Doch er meinte immer noch, einen widersprüchlichen Unterton vernommen zu haben. Einige Sekunden lang rührten sich weder Beth noch er, als könnten sie jeden Zweifel durch schlichtes Ausharren vertreiben.
Schließlich fragte Carter: »Wo ist Champ?« Draußen neigte sich ein langer Sommertag seinem Ende entgegen, und es war beinahe dunkel.
»Ich glaube, er ist im Garten«, sagte Beth. »Vielleicht solltest du ihn hereinholen.« Sie musste nichts von den Kojoten sagen, damit Carter wusste, woran sie dachte.
Er nickte und verließ das Zimmer. Er ging die Treppe in dem Haus hinunter, in dem er sich, trotz der vielen Monate, die sie jetzt hier waren, noch immer ein wenig wie ein Eindringling fühlte. Es war nett, gut ausgestattet, frisch gestrichen, mit weichen Teppichen ausgelegt, doch es war nicht seins, und es war noch nicht einmal mit seinem Zeug eingerichtet. Sein alter Schaukelstuhl, sein zerschrammter Couchtisch, sein Bücherregal aus Schlackenbetonsteinen … das alles hatten sie, ganz vernünftig, zurückgelassen. Es hätte sich nicht gelohnt, die Sachen hierhertransportieren zu lassen, zumal sie ein voll eingerichtetes Haus gefunden hatten. Außerdem hatte das zu ihrem Plan für einen Neuanfang gehört. Das alte Zeug loslassen, mit all seinen Kratzern und Beulen und Erinnerungen, und mit neuen, fremden und unbelasteten Besitztümern ganz neu beginnen.
Es wehte wieder ein heißer, trockener Wind, und das kurze Gras im Garten knisterte unter Carters Füßen. Der Canyon unter ihm war in Mondlicht getaucht, und in der Ferne zeichneten sich die Umrisse der Santa
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