Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
hätte er gerade erst angefangen.
»Du siehst doch gar nicht so übel aus«, sagte er zu dem Mädchen. »Das weißt du doch, oder?«
Sie nickte einmal, kaum wahrnehmbar.
»Was gibst du dich also mit diesem Stück Scheiße ab?«
Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, doch inzwischen hatte Carter genug gesehen. Er warf Del einen raschen Blick zu, der zustimmend nickte, und stand auf. Mit lauter Stimme rief er: »Hier ist er, Del! Der Wasserfall!«
Er stolperte auf die Lichtung und veranstaltete dabei so viel Tumult wie möglich. Er ging auf die kleine Brücke und stellte sich neben den hispanischen Jungen.
»Bis du gestürzt?«, sagte er, legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter und schob ihn von dem Kerl namens Stan fort. »Lass mich mal sehen.«
Mit einem Blick fegte er über Stan und seinen tätowierten Partner hinweg und stellte klar, dass er ganz genau wusste, was hier los war. Del tauchte aus dem Unterholz auf und hielt einen kleinen Knüppel in der Hand, den er gerade aufgesammelt haben musste.
»Das ist mein Freund Del«, erklärte er zu den beiden Männern gewandt, während er den Jungen rüber zum zitternden Mädchen schob. »Als Batter ist er ein As. Wollt ihr’s ausprobieren?«
Die beiden Männer wechselten einen langen Blick, und Carter ließ seinen Rucksack auf den Boden rutschen. »Habe ich nicht gerade gehört, dass ihr aufbrechen wolltet – Stan?«
»Nee, mir gefällt’s hier.« Er nahm eine Angriffsposition ein, bereit zu kämpfen, doch sein Freund packte ihn am Ellenbogen und sagte: »Verdammt nochmal, was tust du da? Wir sind hier fertig – lass uns verschwinden.«
Del schlenderte um sie herum, bis er hinter ihnen stand, und schlug einmal wie beiläufig, aber kräftig, gegen ein paar Zweige.
Stan starrte Carter an, nahm eine Ray-Ban-Sonnenbrille aus der Brusttasche und setzte sie auf. »Hier stinkt’s nach Scheiße.«
In diesem Moment wusste Carter, dass er gewonnen hatte. Er sagte nichts mehr, während Stan und sein Kumpan zum Pfad gingen und den Berg hinabstiegen. Carter kniete sich neben das Mädchen und sagte: »Bist du verletzt?«
Sie blickte ihn mit Tränen in den Augen an und murmelte: »Ich glaube nicht.«
»Hast du ein Handy?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Sie haben es ins Wasser geworfen«, sagte der Junge. Del tupfte ihm mit ein paar Blättern das Blut von der eingerissenen Lippe.
»Ihr kommt wieder in Ordnung, alle beide«, sagte Carter. »Kannst du aufstehen?«, fragte er das Mädchen und hielt ihren Arm fest, während sie aufstand. »Meinst du, dass du es bis nach unten schaffst?«
Sie sagte nichts, sondern ging hinüber zu ihrem Freund. »Bist du okay, Luis?«
Doch er sah sie nicht an.
»Bist du okay?«, wiederholte sie und streckte die Hand aus, um seinen Arm zu berühren, doch er zog ihn fort.
»Fass mich nicht an, okay? Lass mich in Ruhe!«
Carter wusste, was hier los war. Der Junge war gerade vor den Augen seiner Freundin geschlagen worden, und er war nicht in der Stimmung, ihr ins Gesicht zu schauen.
Del merkte es ebenfalls. »Wie heißt du?«, fragte er das Mädchen, während er sie wegzog und mit ihr zum Pfad ging. »Ich heiße Del Garrison.«
»Lilly.«
»Nett, dich kennenzulernen, Lilly.« Er führte sie zum Pfad, den Knüppel immer noch in der Hand. »Der Abstieg wird wesentlich leichter.«
Carter schulterte seinen Rucksack und führte Luis in dieselbe Richtung. Er war schlank und nicht besonders groß, und sein Nike-T-Shirt hatte vorne ein paar Blutflecken.
Sie wanderten schweigend, alle hatten den Blick auf der Suche nach losen Steinen und Erde auf den Pfad gerichtet. Es gab kein Zeichen von den beiden Männern, die sie angegriffen hatten, doch Carter hatte genug gehört und wusste Bescheid.
Um sie abzulenken, rief Del ihnen über die Schulter zu, was sie gerade sahen oder an was sie vorbeikamen. »Das hier rechts ist Vergissmeinnicht. Da ist Lotus scoparius , das gerne von Rotwild gefressen wird. Auf dem Boden vor euch wächst Buchweizen, und hier hängt ein Schlingendes Löwenmäulchen herunter. Schafgarbe. Belladonna. Uropappus lindleyi , ein Verwandter des Löwenzahns.« Und immer so weiter, eine endlose Liste, und schon bald passierten sie wieder die verlassene Hütte. Am Himmel über ihnen zog ein einsamer Falke langsam seine Kreise im Aufwind.
Nur ein einziger Wanderer kam ihnen auf dem Weg nach unten entgegen, eine junge Frau mit einem großen Strohhut, die ihnen einen sehr neugierigen Blick zuwarf. Als sie den
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