Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
Geschichten von Raubüberfällen, doch von Berglöwen oder Klapperschlangen hatte er dort nie gehört.
Die meiste Zeit über hatten sie rechts von sich eine Schlucht mit einem träge dahinfließenden Bach, der über moosbewachsenen Steine plätscherte. Carter fühlte sich ermutigt. Auch, wenn es nicht viel war, so floss doch wenigstens etwas Wasser. Vielleicht war der Wasserfall noch nicht ganz versiegt. Nur eine Person war ihnen bisher auf dem Pfad entgegengekommen, ein drahtiger Mann, der einen Skistock als Wanderstock benutzte und etwas auf Deutsch gesagt hatte. Andererseits war dieser Tag so heiß und schwül, der Himmel so wolkenverhangen, dass jeder am Strand oder im Kino sein musste.
Carter kämpfte sich weiter voran, und allmählich wurde das Plätschern im Bach neben ihnen lauter. Ein gutes Zeichen. Der Pfad schlängelte sich im Schatten überhängender Eichen und Ahornbäume entlang und führte schließlich über offenes Gelände mit heißem, staubigem Boden. Zu beiden Seiten ragte der Canyon plötzlich steil empor, die Flanken mit Gebüsch, Unterholz und Gruppen von gelben Wildblumen bedeckt. In der Luft lag der Duft von trockenem Mesquitenbaum, Salbei … und Rauch.
Carter blieb stehen, legte eine Hand schützend über die Augen und blickte über den Canyon. Er konnte nirgendwo Flammen und noch nicht einmal Rauch sehen, doch als er aufmerksam lauschte, vernahm er etwas, das sich wie das Dröhnen eines Hubschraubers anhörte.
»Ein Buschfeuer?«, sagte Del und hielt neben ihm an.
»Hört sich an wie ein Helikopter …«
»Oder ein Löschflugzeug.«
»Genau. Auf der anderen Seite dieser Anhöhe.«
Schweigend standen sie auf dem offenen Pfad und warteten. »Dieses Jahr ist alles so trocken hier«, sagte Carter.
Del nickte und sagte: »Perfekte Bedingungen für eine Katastrophe.«
Nach ein, zwei Minuten gingen sie weiter, ohne ein Wort zu sagen. Der Pfad führte erneut durch schattiges Gelände. Oberhalb von ihnen hörten sie das verheißungsvolle Geräusch von herabstürzendem Wasser. Das Jahr zuvor war ziemlich nass gewesen, so dass der Bach immer noch genügend Zufluss haben musste. Carter zog den Kopf ein, um einem überhängenden Zweig auszuweichen. Ein paar Eidechsen huschten über den Pfad, ihre langen blauen Schwänze schimmerten.
Etwa hundert Meter weiter bergauf gelangten sie zu einer kühlen, schattigen Lichtung. Eine kleine Holzbrücke führte über den jetzt rauschenden Bach. Doch das Bild, das sich Carter bot, war irritierend. Dieses blonde Mädchen mit der Saftig-Shorts saß auf dem Boden, die Beine vor sich ausgestreckt. Ihr Freund hatte den Kopf über die Brüstung gehängt und spuckte, oder kotzte, in den Bach darunter.
Carters erster Gedanke galt der Frage, wie diese Kids es geschafft hatten, vor ihnen hier zu sein. Doch dann fiel ihm ein, dass es einen kürzeren, direkteren Weg gab, den sie genommen haben mussten.
Sein zweiter Gedanke war besorgniserregender. In der Nähe des Wildbachs, dessen klares Wasser einen Grat herunter und unter der Brücke hindurchschoss, stand dicht an der Felswand ein großer Mann mit hellblondem, militärisch kurzgeschorenem Haar im Schatten. Er grinste breit und schwang einen Holzknüppel. Er sagte etwas, das Carter nicht verstand, und ein weiterer Mann, den Carter erst jetzt sah, trat hinter einem Baum hervor. Der zweite Mann antwortete, und beide lachten.
Das Mädchen wirkte benommen und saß einfach nur da.
Instinktiv ging Carter in die Hocke. Als er sich umdrehte, um Del zu warnen, stellte er fest, dass Del sich bereits vom Pfad in den Schatten verdrückt hatte und seinerseits einen Finger an die Lippen hielt.
Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht, doch Carter wollte erst mehr herausfinden, ehe er sich zu erkennen gab.
Der Mann mit dem Kurzhaarschnitt schlenderte auf den Jungen zu, der, wie Carter jetzt deutlich sah, Blut in den Bach spuckte. »Hast du einen Zahn verloren?«, fragte der Mann beinahe besorgt.
Der Junge zuckte die Achseln, als wüsste er es nicht, hielt den Kopf jedoch weiter gesenkt.
»Nächstes Mal kann dir das gut passieren.«
Der Mann drehte sich um, um das Mädchen anzusehen. »Jetzt weißt du Bescheid, klar?«
Sie gab ihm ebenfalls keine Antwort.
Der andere Mann, der ein kurzärmeliges Hemd trug, das eine Tätowierung auf seinem Unterarm erkennen ließ, hob seine Angeltasche wieder auf und sagte: »Komm schon, Stan. Lass uns weitergehen.«
Doch Stan war noch nicht bereit zum Aufbruch. Er sah aus, als
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