Knochenhaus (German Edition)
schwebte fröhlich zwischen den grauen Wolken in Ruths Bauch herum. «Ein großes Baby», hat die MTA kommentiert. Typisch. Erst hängt Nelson ihr ein Riesenbaby an, und dann macht er sich aus dem Staub. Ruth wird in jedem Fall dafür sorgen, dass die Kleine Arsenal-Fan wird.
Sie selbst hat sich weniger rasch erholt. Sie kann den Gedanken immer noch nicht abschütteln, dass sie Roderick Spens umgebracht hat. Im Traum sieht sie sich wieder und wieder abdrücken, sieht Rodericks Gesicht in einem Regen aus Blut und Knochensplittern explodieren. Die tatsächlichen Ereignisse – Roderick, der fast wie in Zeitlupe nach hinten fiel, das Holzgeländer, das unter dem Aufprall zersplitterte, und die endlose Zeitspanne, bis der Körper unten auf dem Wasser auftraf – scheinen fast weniger real als dieser Albtraum. Sie hat ihn zwar nicht getötet, aber sie wollte es tun. Das, denkt sie, ist die Wahrheit. Sie weiß, dass sie einen Menschen getötet hätte, um sich und ihr Baby zu retten.
«Ruth!» Als sie aufschaut, sieht sie Max auf sich zukommen. Er hat sich bisher unter die Gäste gemischt und die Smalltalk-Fähigkeiten unter Beweis gestellt, die jeder erfolgreiche Archäologe braucht – ein weiterer Grund vielleicht, warum Ruth es in diesem Beruf nie bis ganz an die Spitze schaffen wird. Er hat herzlich mit Phil geplaudert, der seinerseits mit der strahlenden Shona Händchen hielt (der Stichtag, die letzte Kommissionssitzung, ist erst in einem Monat), hat den freiwilligen Helfern die Hand geschüttelt und sich eine Viertelstunde lang konzentriert den Fragen der Lokalpresse gestellt. Er wird es noch weit bringen, daran besteht kein Zweifel.
Ruth hat sich damit begnügt, ihn aus der Ferne zu beobachten. Sie will auf keinen Fall mit der Presse reden – oder auch nur mit Phil. Ihre persönliche Beziehung zu Max, die Verbindung, die sie zu ihm spürt, ist sehr viel stärker geworden, seit Max in jener schicksalhaften Nacht an ihrer Seite war. Er ist mit den Polizisten an Bord gekommen, um ihr zu erzählen, dass er ihr zusammen mit Cathbad und Nelson in einem Elektroboot gefolgt ist. Und er hat ihr auch von Nelsons Kamikaze-Sprung ins Wasser berichtet. «Als er dachte, dir wäre etwas passiert, ist er völlig durchgedreht.» Sie haben einander angesehen, und es war beiden klar, dass Max weiß, wer der Vater von Ruths Baby ist. Doch keiner von ihnen hat etwas gesagt. Auf der Fahrt ins Krankenhaus hat Max die ganze Zeit ihre Hand gehalten.
Jetzt strahlt er. Die Ausgrabung war ein voller Erfolg. Bald wird er nach Sussex zurückkehren, um die Ergebnisse zu veröffentlichen. Selbst die Lady Annabelle konnte gerettet werden, und Edward hat ihm angeboten, das Boot so oft zu nutzen, wie er will. Doch er vermutet stark, dass Ruth wohl nicht mehr mit an Bord kommen wird.
«Ein schönes Fest», sagt Ruth.
«Du weißt ja, was für Partytiere Archäologen sind.»
Ruth schaut zu zwei Frauen hinüber, die mit großem Ernst über römische Keramik diskutieren, und muss grinsen.
«Sag mir Bescheid, wenn ihr die harten Drogen in Umlauf bringt.»
«Ich würde dir gern etwas zeigen», sagt Max.
Ruth macht ein skeptisches Gesicht. Überraschungen hatte sie in letzter Zeit wahrhaftig mehr als genug. Doch Max lächelt, und außerdem ist ringsum ein Fest im Gange. Die Unterwelt ist sicherlich weit genug weg.
Max nimmt sie bei der Hand und führt sie zu seinem Wagen. Das vordere Fenster steht einen Spaltbreit offen, und auf dem Rücksitz sitzt ein großer schwarzer Hund, der vor Freude ganz aus dem Häuschen gerät, als er sie sieht, und mit dem gesamten Hinterteil wedelt. Es ist ein schlankes, geschmeidiges Tier mit einem struppigen Gesicht, auf dem ein Lächeln zu liegen scheint. Ruth lächelt unwillkürlich zurück.
«Weißt du noch, das Atmen, das du damals im Graben gehört hast?», fragt Max. «Ich sagte ja, es könnte ein Hund gewesen sein. Tja, das ist er. Oder besser gesagt: sie. Eine Streunerin. Sie treibt sich jetzt schon seit ein paar Wochen ständig hier herum, da habe ich beschlossen, sie zu adoptieren.»
«Ein Hund ist ein Bund fürs Leben …», zitiert Ruth einen bekannten Autoaufkleber.
«So ist es. Aber ich dachte mir, etwas Gesellschaft wird mir wohl nicht schaden.» Einen Moment lang verdüstert sich Max’ Miene, hellt sich aber gleich wieder auf, als die Hündin sich aus der halb offenen Autotür drängt und an ihm hochspringt.
«Sie möchte auch mit auf die Party», sagt Ruth und denkt bei sich, dass dieser
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