Knochenhaus (German Edition)
längst fest und sicher verknotet. Vor zwei Wochen hat Pater Hennessey persönlich die Totenmesse für das kleine Mädchen gehalten, das vor mehr als fünfzig Jahren durch die Hand seines eigenen Vaters zu Tode gekommen ist.
Bernadettes Mutter war nicht zur Beisetzung erschienen. Als Judy am Morgen nach ihrer Unterredung mit Schwester Immaculata wieder in das Kloster kam, teilte man ihr dort mit, die Nonne sei in der Nacht gestorben. «War ein Priester bei ihr?» Das war Pater Hennesseys erste Frage, als er davon erfuhr. Judy konnte ihn beruhigen: Pater Connor sei bis zum Schluss bei ihr gewesen und habe ihr auch die Letzte Ölung verabreicht. Wie Nelson weiß auch Judy, wie wichtig so etwas ist. Schwester Immaculata mag ihr zwar alles erzählt haben, doch diese Art Beichte ist für eine katholische Nonne nicht das Entscheidende.
Obwohl also weder Vater noch Mutter anwesend waren, war die kleine, verstaubte Kirche während der kurzen Zeremonie doch keineswegs leer. Nelson war gekommen, ebenso wie Clough und die frisch zum Detective Sergeant beförderte Judy Johnson. Ruth, Max und Cathbad waren ebenfalls dort, Letzterer ganz zurückhaltend in Jeans und schwarzem T-Shirt. Und auch Ted der Ire und Trace waren anwesend; Trace wischte sich immer wieder die Augen mit dem Ärmel ihres lila Spitzenoberteils.
In der ersten Reihe saßen Edward und Marion Spens und blickten starr geradeaus. «Immerhin», hat Edward hinterher mit zitternder Stimme zu Nelson gesagt, «war sie ja meine Halbschwester. Es kommt mir nur so unglaublich vor, dass …» Er brach ab, und Nelson hatte Verständnis für die unausgesprochenen Worte. Kann man denn auch glauben, dass Edwards Vater ein Mörder war, der als junger Mann bereits ein Kind getötet und nun mit über siebzig einen weiteren Mordversuch unternommen hat? Kann man glauben, dass dieses Verbrechen mehr als ein halbes Jahrhundert verborgen blieb, bis der Sohn des Täters beschloss, aus dem Grundstück noch Profit zu schlagen? Kann man glauben, dass auf ebendiesem Grundstück ein Kinderheim Hunderten Kindern Zuflucht bot, von denen zwei aber dennoch ausgerissen sind und das eine bald darauf starb? Das alles ist so unglaublich und doch nur allzu wahr. Nelson hat Edward Spens kurz die Hand gedrückt und sich dann zwischen den Grabsteinen hindurch entfernt. Was hätte er auch sagen sollen?
Am Kirchentor blieb er stehen, um ein paar Worte mit Trace zu reden, die sich immer noch die Augen wischte.
«Ich habe gerade mit Ihrem Onkel geredet.»
Sie sah zu ihm auf. «Wie haben Sie denn das herausgefunden?»
«War nicht weiter schwierig», antwortete Nelson, obwohl er in Wahrheit ziemlich lange gebraucht hat, um die Verbindung zu ziehen, auch nachdem er die Namen auf Judys Stammbaum gelesen hatte. Charlotte Spens und ihre beiden Kinder Tracy und Luke. Trace heißt natürlich nicht Spens mit Nachnamen, was es etwas weniger offensichtlich gemacht hat. Und doch ist sie die einzige Erklärung dafür, dass Sir Roderick immer so gut über die beiden Ausgrabungen in Swaffham und an der Woolmarket Street informiert war.
Trace wirkte genau so mitgenommen wie ihr Onkel. «Ich kann einfach nicht glauben, dass Opa … Wissen Sie, meine Mutter und Onkel Edward sind zerstritten, deshalb hatten wir nie viel mit der Familie zu tun. Aber Opa mochte ich immer gern. Er schien so ein lieber alter Herr zu sein. Wir haben viel über Geschichte geredet, über die Römer. Diese Vorliebe hatten wir ja gemeinsam.»
«Sonst hoffentlich nichts», bemerkte Nelson nüchtern und wandte sich dann ab, um mit Ruth zu reden.
Sie sah blass und müde aus, machte aber insgesamt einen stabilen Eindruck. Die Schwangerschaft war jetzt nicht mehr zu übersehen, nicht einmal in dem unvorteilhaft weiten schwarzen Anzug.
«Geht’s dir gut?», fragte er sie.
«Ja.» Sie lächelte tapfer. «Ich bin froh, dass wir diese Messe gehalten haben. Das fühlt sich irgendwie richtig an.»
«Stimmt», bestätigte Nelson. «Es fühlt sich richtig an.»
Eigentlich wollte er noch mehr sagen, doch da stand plötzlich Clough neben ihnen und schlug vor, noch in den benachbarten Pub zu gehen. «Das ist so üblich nach einer Beerdigung. Kann man jeden Iren fragen.» Ted der Ire, der hinter ihm stand, nickte eifrig.
«Ich muss wieder zurück zur Arbeit», sagte Ruth. «Wiedersehen, Nelson.»
Und damit beugte sie sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Der erste Körperkontakt zwischen ihnen, seit ihr Kind gezeugt wurde.
Als die Polizisten
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