Knochenhaus (German Edition)
man den Weg besser findet.»
«Ein Irrlicht», sagt Ruth und denkt an die anderen Legenden, die die geisterhaften Lichter erklären.
«Genau. Phosphoreszierende Moorlichter. Es gibt zahllose Geschichten darüber.»
Ruth erschauert. Die Uhr am Armaturenbrett zeigt 22 Uhr 32. «Ich sollte langsam reingehen.»
Max hält sie nicht zurück und schlägt auch keinen Kaffee vor. Doch als sie die Beifahrertür öffnen will, sagt er: «Ruth …» Dann beugt er sich zu ihr und küsst sie auf den Mund.
Ruth geht direkt ins Bett, doch als sie behaglich unter der warmen Bettdecke liegt, den schnurrenden Flint auf dem Bauch, kann sie nicht einschlafen. Stattdessen schwirren ihr ununterbrochen Wörter und Halbsätze durch den Kopf. Sie dreht sich erst auf die eine, dann auf die andere Seite (was Flint merklich missfällt), kann ihnen aber einfach nicht entkommen. Ein wenig fühlt sie sich an die halbwachen Träume erinnert, die einen oft befallen, wenn man zu viel getrunken hat – was umso ärgerlicher ist, als sie nur einen kleinen Schluck von dem Punsch genommen und sich dann für den Rest des Abends an Orangensaft gehalten hat.
Sie ist die Göttin der Kreuzungen, der drei Wege.
Er hat mir versprochen, seine Frau zu verlassen. Was sagst du dazu?
Weiß Nelson es schon?
… ein Schwellenort, eine Brücke zwischen Leben und Tod.
… alles verändert sich, nichts vergeht.
Ringel-rangel-runnen, Mieze sitzt im Brunnen.
Und dann, urplötzlich, sind die Stimmen allesamt verschwunden, und zurück bleibt nur das Bild eines sanftmütigen Mannes mit bedrückter Miene, der traurig einen zerstörten Garten betrachtet.
Hier war das Gewächshaus, und da drüben hatten wir eine Schaukel und ein Baumhaus. Einen Wunschbrunnen gab es auch …
Ringel-rangel-runnen, Mieze sitzt im Brunnen.
Ruth richtet sich so unvermittelt auf, dass Flint vom Bett purzelt. Plötzlich weiß sie, ohne jeden Zweifel, wo die Schädel versteckt sein müssen.
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13
Sie finden den Brunnen hinter dem Haus, unweit des Baumes mit dem zerfransten Schaukelseil. Er ist bereits halb unter einer neu errichteten Mauer verschwunden, die Nelson unter den lautstarken Protesten des Poliers einreißen lässt.
Vom Brunnen selbst ist nur noch ein Kreis aus tief in die Erde gedrückten Ziegelsteinen übrig. Der Schacht ist mit Zement ausgegossen, doch Nelson vermutet, dass es sich nur um einen Deckel handelt, keinen halben Meter dick. Und tatsächlich braucht der hinzugerufene Bauarbeiter nur wenige Minuten, um ihn mit dem Presslufthammer zu durchstoßen. Ruth schaut in den Abgrund hinunter. Kalte, feuchte Luft dringt ihr in Nase und Mund, doch sie sieht nichts als Dunkelheit.
«Wie tief wird das sein?», fragt Ted.
«Fünf, sechs Meter», sagt Nelson. «Vielleicht auch tiefer.»
Er hat einen Polizeitaucher mitgebracht, der in den Brunnen hinunterklettern soll. Der Mann hat sein Sicherheitsgeschirr umgeschnallt und befestigt gerade ein dickes Seil daran.
«Wozu denn ein Taucher?», will Ruth wissen. «Es ist doch gar kein Wasser mehr drin.»
«Das kann man nie wissen», sagt Nelson. «Außerdem ist er versichert, und wir haben nun mal kein Sonderkommando für Wunschbrunneneinsätze bei der Polizei.»
«Ich kann doch runterklettern», bietet Ted an. «Ich stehe auf Extremarchäologie.»
«Vergessen Sie’s, Freundchen», sagt Nelson. «Sie bleiben schön hier, wo ich Sie sehen kann.»
Der Taucher lässt sich vorsichtig in den Schacht hinab und verschwindet. Ein paar Minuten lang ist es vollkommen still. Nur oben im Baum singt sich ein Vogel die Seele aus dem Leib.
Dann ertönt plötzlich eine Stimme aus den Tiefen des Schachts. «Ich hab was gefunden, Sir.»
Nelson kniet sich an den Brunnenrand. «Was denn?», ruft er hinunter.
«Einen Schädel.»
«Nicht in die Augenlöcher fassen!», quiekt Ruth, die sich neben Nelson gehockt hat. «Die sind sehr empfindlich.»
«Ich komme jetzt wieder rauf.»
Eine Minute später ist der Taucher wieder oben und balanciert einen Schädel auf der flachen Hand. Er sieht aus wie ein Schauspieler, der in einer experimentellen Theaterinszenierung – vielleicht etwas Richtung Shakespeare wartet auf Godot ? – den Hamlet gibt. Ruth nimmt den kleinen Schädel vorsichtig in beide Hände.
«Und?», fragt Nelson.
«Ein Kinderschädel», sagt sie leise.
«Da unten war noch etwas, Sir.»
«Was stehen Sie dann noch rum und plaudern? Runter mit Ihnen.»
Diesmal kommt der Taucher mit einem Schädel
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