Knochenhaus (German Edition)
die beiden Ausgrabungsorte – die römische Siedlung und die fünfundsiebzig Luxusapartments –, über die beiden enthaupteten Leichen und über römische Gottheiten, vor allem Janus, den Gott mit den zwei Gesichtern. «Er wird häufig auch mit dem Frühjahr und der Erntezeit in Verbindung gebracht», erklärt Max. «Er ist nicht nur der Gott der Türschwellen, sondern jeder Art von Übergang und Wandel von einem Zustand in den anderen.»
«Weil er gleichzeitig nach vorn und nach hinten schaut?»
«Genau. Das hat ihm übrigens auch geholfen, wenn er hinter einer Frau her war, der Nymphe Carna beispielsweise.»
«Hat er sie erwischt?»
«O ja. Und als Lohn für ihre Gunst hat er ihr Macht über alle Türangeln verliehen.»
Ruth muss lachen. «Dann sollten wir also kein Schmiermittel mehr verwenden, sondern stattdessen zu Carna beten?»
«Es wäre sicher einen Versuch wert.»
Max schenkt sich ein weiteres Glas Wein ein, doch Ruth hat bereits die moderne Nymphe erspäht, die über den Sand auf sie zukommt: Shona. Sie trägt ein wehendes lila Kleid mit passender Stola und hat einen nicht allzu gern gesehenen Gast im Schlepptau. Phil.
«Ruth! Wo drückst du dich denn herum?»
Ruth findet das eine äußerst unschöne Formulierung, denn eigentlich hat sie es sehr genossen, mit einem attraktiven, intelligenten Mann im Sand zu sitzen. Jetzt kommt es ihr natürlich prompt selbst albern und ein bisschen zwielichtig vor.
«Hallo, Ruth», sagt Phil ein wenig zu forsch. Es ist das erste Mal, dass Ruth ihn zusammen mit Shona sieht. Anscheinend ist dieser Abend als eine Art Coming-out der beiden als Paar gedacht. Kein Wunder, dass Shona so triumphierend strahlt.
«Hallo, Phil», erwidert Ruth argwöhnisch. «Erinnerst du dich noch an Max Grey aus Sussex? Er leitet die Ausgrabung in Swaffham.»
«Aber natürlich. Wie geht’s, wie steht’s? Das ist ja schön, dass Ruth sich um Sie kümmert.»
Wie Shonas Kommentar schafft es auch diese Bemerkung, den ganzen Abend plötzlich ins Lächerliche zu ziehen. Mit welchem Recht behauptet Phil, Ruth würde sich um Max kümmern? Und wie kommt er überhaupt darauf, dass man sich um Max kümmern müsste?
«Ich amüsiere mich prächtig», sagt Max und rettet die Situation damit zumindest ein klein wenig.
«Ich mache mir ja nichts aus solchem Hippie-Kram», sagt Phil. «Aber Shona ist nun mal mit Malone befreundet.»
«Malone?»
«Na, Catweazle oder wie er sich nennt.»
«Cathbad», brummt Ruth mit mühsamer Beherrschung.
«Wie ich höre, war er auch mal Archäologe», sagt Max.
«Das ist aber schon Jahre her», erwidert Phil abfällig. «Inzwischen ist er Laborassistent. Ein abgehobener Typ, der an symbolische Landschaften glaubt, an Kraftlinien, die Geister der Ahnen und diesen ganzen Mist.»
Max sagt nichts dazu. Ruth ist überzeugt, dass er an einiges davon ebenfalls glaubt, es sich aber natürlich nicht mit Phil verscherzen möchte, der immerhin einen Großteil seines römischen Ausgrabungsprojekts finanziert.
Inzwischen ist es fast dunkel. Die Druiden haben brennende Fackeln in den Sand gesteckt, und die tanzenden Gestalten am Feuer wirken monströs verzerrt, werfen schwarze Schatten auf die Flammen. Die Luft ist erfüllt vom scharf-süßlichen Geruch von brennendem Holz. Ruth ist mit einem Mal todmüde. Eigentlich will sie nur noch nach Hause ins Bett, zu Flint, der seine Krallen an der Bettdecke wetzt. Doch Max möchte sicher noch nicht gehen. Wie viele Stunden wird sie wohl noch zusehen müssen, wie Cathbad irgendwelche hochsymbolischen Gegenstände ins Feuer wirft? Zuletzt ein Sweatshirt der Universität North Norfolk – sie will gar nicht weiter darüber nachdenken, was er damit ausdrücken möchte.
Erst jetzt fällt ihr auf, dass Shona mit ihr redet; sie spricht leise, damit die Männer sie nicht hören. «Er hat mir versprochen, seine Frau zu verlassen. Was sagst du dazu?»
«Das habe ich schon ein paarmal zu oft gehört» – das würde Ruth am liebsten dazu sagen. Stattdessen aber fragt sie: «Glaubst du denn, er macht es auch?»
«Keine Ahnung.» Shona leert ihren Plastikbecher. «Ich habe ihn vor die Wahl gestellt: sie oder ich. Er sagt, ich bin das Wichtigste in seinem Leben.»
Wahrscheinlich ist er deswegen auch hier. Als Zugeständnis. Er zeigt sich ja schließlich mit ihr, vor dieser Gruppe ausgesucht unwichtiger Leute. Ruth ist überzeugt, dass Phil Shona niemals auf einen Institutsempfang oder eine Ringvorlesung begleiten würde. Und ebenso
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