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Knochenhaus (German Edition)

Knochenhaus (German Edition)

Titel: Knochenhaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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nur?» Sie zückt ein winziges Spitzentaschentuch und bricht in lautes Schluchzen aus. Die anderen Sonntagsspaziergänger mustern sie im Vorbeigehen neugierig. Ruth hockt sich neben ihre Mutter und hat ganz gegen ihren Willen massive Schuldgefühle.
    «Mum, es tut mir wirklich leid, dass dich das so aufregt, aber versuch doch mal, es von der positiven Seite zu sehen. Ich bekomme ein Baby. Ihr kriegt ein Enkelkind. Darüber sollte man sich doch eigentlich freuen.»
    «Freuen?», poltert ihr Vater. «Über einen Bastard-Enkel? Bist du völlig übergeschnappt?»
    Anscheinend, denkt Ruth. Anscheinend war sie wirklich übergeschnappt, auch nur eine Sekunde lang zu glauben, ihre Eltern könnten sich über die Neuigkeit freuen. Sich mit ihr freuen. Die Tatsache akzeptieren, dass ihre Tochter zwar keinen Mann hat, dafür aber bald ein Kind, und dass dieses Kind zwar nicht geplant, aber dennoch gewollt ist, von ganzem Herzen gewollt. Wie sehr, das wagt Ruth sich kaum selber einzugestehen. Sie weiß nur, dass ihr in dem Moment, als sich ihr Verdacht in dem dünnen blauen Streifen auf dem Schwangerschaftstest konkretisierte, das Herz überging. Jeder Schmerz, jede Enttäuschung ihres bisherigen Lebens, ja selbst die traumatischen Erlebnisse der letzten Monate schienen sich plötzlich zu verflüchtigen und ließen nur grenzenlose blaue Freude zurück.
    «Ich hoffe, ihr werdet eure Meinung noch ändern.» Mehr sagt sie nicht. Dann richtet sie sich auf und hilft ihrer Mutter von dem Baumstumpf wieder auf die Beine.
    «Wir ändern unsere Meinung nie», verkündet ihre Mutter mit stolzgeschwellter Brust. «Das liegt nicht in unserem Wesen.»
    Allerdings, denkt Ruth. Die Wiedererweckung hat das Gefühl von Unfehlbarkeit, das bei ihren Eltern ohnehin schon recht gut entwickelt war, nur noch verstärkt. Wie soll man auch jemals wieder falschliegen, wenn man doch von Gott auserwählt wurde? Das gilt ausnahmslos für alles. Ihre Eltern haben sich erst bekehrt, als Ruth schon in der Pubertät war – viel zu spät für sie, obwohl sie noch eine Zeitlang mit in die Kirche gegangen ist. Sie selbst hat nie zu Gott gefunden, aber eigentlich auch nie so recht nach ihm gesucht.
    Ihr Vater deutet theatralisch auf Severndroog Castle, das hinter ihnen aufragt.
    «Unsere Wertvorstellungen ändern sich nicht. Sie stehen so fest wie diese mittelalterliche Burg.»
    Ruth verkneift sich die Bemerkung, dass die fragliche Burg eine Caprice aus dem achtzehnten Jahrhundert ist und es im Mittelalter von unehelichen Kindern und unverheirateten Müttern vermutlich nur so gewimmelt hat. Sie sagt nur: «Ich hoffe trotzdem noch, dass ihr die Dinge anders seht, wenn das Baby erst einmal auf der Welt ist.»
    Ihre Eltern schweigen dazu; doch als sie die Avery Hill Road überqueren wollen, fasst Ruths Vater sie fürsorglich am Arm, als könnte die Schwangerschaft ihre Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen. Ruth empfindet das als merkwürdig tröstlich.

    Ein Sonntagnachmittag in einem Vorort von King’s Lynn. Fröhliche Familien brechen zu Fahrradtouren auf, Autos werden gewaschen, Hunde spazieren geführt, Zeitungen gelesen, und über allem liegt der Duft des sonntäglichen Bratens. Nachdem er sein eigenes Mittagessen verzehrt hat (Lammbraten und eine fleischlose Variante für Laura), verkündet Nelson, er werde jetzt den Rasen mähen. Michelle erklärt, sie wolle noch ins Fitnessstudio – sie ist wahrscheinlich die einzige Frau auf Erden, die am Sonntagnachmittag freiwillig ins Fitnessstudio geht –, und Laura beschließt, sie zu begleiten, um eine Runde zu schwimmen. So bleibt Nelson mit der sechzehnjährigen Rebecca zurück, die sich kurz darauf nach oben verzieht, um sich ihrem iPod und ihrem Rechner zu widmen. Nelson hat nichts dagegen einzuwenden. Er will allein sein und irgendwelche belanglosen Haushaltstätigkeiten erledigen. So kann er am besten nachdenken.
    Nachdem er den Rasenmäher aus dem Schuppen geholt und festgestellt hat, dass der Benzintank leer ist, den Reservekanister aus dem Kofferraum seines Mercedes gewuchtet, sich dabei den Fuß im Garagentor geklemmt, das kaputte Kupplungsseil repariert und Michelles Wäscheständer aus dem Weg geräumt hat, rasen seine Gedanken bereits. Ist Ruth tatsächlich schwanger? Ist das Kind von ihm? Im Februar haben sie eine Nacht miteinander verbracht, doch er hat den Verdacht, dass Ruth in der Zeit auch wieder mit ihrem Exfreund Peter zusammen war. Das Kind könnte also auch von ihm sein. Und was ist mit

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