Knochenhaus (German Edition)
Nebengebäude – alles versunken in einem Meer aus glattem Schlamm. Im hinteren Teil des Grundstücks wachsen verstohlen die neuen Wohnungen in die Höhe, sie sind bereits bis zum ersten Stock gediehen, inklusive der ersten, wenig stabil wirkenden Balkone. Edward Spens setzt offensichtlich alles daran, der Immobilienkrise zuvorzukommen.
Ruth bestellt einen Tee, weil sie dem Kaffee nicht recht über den Weg traut. Pater Hennessey ordert Kaffee und leichtsinnigerweise auch einen Bagel, den er mit sichtlichem Genuss verzehrt, obwohl auf dem Teller Eigelbreste kleben. Der Priester macht einen völlig ruhigen, entspannten Eindruck. Ruth hingegen spielt nervös mit der Zuckerdose und verschüttet zweimal etwas von ihrem Tee (der im Übrigen scheußlich schmeckt).
«Das muss ja eine große Freude für Sie gewesen sein, Martin wiederzusehen», sagt sie.
Pater Hennessey lächelt. «O ja, das kann man wohl sagen. Ein wunderbares Geschenk Gottes. Ich hatte schon befürchtet, sterben zu müssen, ohne je zu erfahren, was aus ihm und Elizabeth geworden ist.»
Das ist vermutlich mehr als nur eine Floskel. Pater Hennessey, das weiß Ruth von Max, ist tatsächlich über achtzig, da ist der Tod keine bloße Metapher mehr. Wie das wohl sein mag, fragt sie sich, zu wissen, dass man sterben wird, und gleichzeitig überzeugt zu sein, dass danach das ewige Leben wartet?
«Max … Martin … hat erzählt, Sie seien immer sehr gut zu ihm gewesen.»
Pater Hennessey blickt nachdenklich in seine Kaffeetasse. «Nun, ich habe mich immer bemüht, aber wir können niemals wissen, ob wir nicht noch mehr hätten tun können. Wäre ich verständnisvoller gewesen, wäre er vielleicht niemals ausgerissen. Und Elizabeth wäre vielleicht noch am Leben.»
«Vielleicht aber auch nicht», sagt Ruth sanft. «Max meinte, sie sei immer ein kränkliches Kind gewesen.»
Hennessey lächelt, erwidert aber nichts. Die Stille wird nur von Bobby, dem Cafébesitzer, durchbrochen, der im Hintergrund lauthals mit einer gewissen Maggie streitet. Schließlich meint Ruth: «Sie fragen sich vermutlich, warum ich Sie um dieses Treffen gebeten habe.»
«Ich bin davon ausgegangen, dass Sie mir das irgendwann erzählen», erwidert der Pater gutmütig.
Und so berichtet Ruth von dem Baby und dem Kalb mit den zwei Köpfen, von der blutigen Schrift an der Wand und dem Unbekannten draußen in der Dunkelheit vor ihrem Haus. Sie erzählt sehr viel mehr, als sie eigentlich vorhatte; das muss wohl an seiner ebenso unheimlichen wie unerklärlichen Priesteraura liegen. Hennessey hält seinen blassblauen Blick auf ihr Gesicht gerichtet.
«Da versucht also jemand, mir Angst einzujagen», endet sie schließlich. «Jemand, der etwas mit dem alten Haus zu tun hat. Ich habe mich einfach gefragt, ob Sie vielleicht eine Vorstellung haben, wer das sein könnte.»
Sie zwingt sich, den blauen Augen standzuhalten. Pater Hennessey sieht unverwandt zurück. «Haben Sie denn selbst eine Vorstellung?», fragt er.
«Nein», antwortet Ruth, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entspricht.
«Haben Sie sonst noch jemanden aus dem Kinderheim kennengelernt?», fragt Hennessey weiter.
«Nur Kevin Davies.»
«Keine der Nonnen?»
«Nein.»
Will er die Sache etwa «den Nönnchen anhängen», wie Ted das vermutlich formulieren würde? Dabei kennt Ruth im Grunde nur einen Menschen aus dem Kinderheim zum Heiligsten Herzen, und das ist Pater Hennessey selbst.
«Warum fragen Sie das?», will sie wissen.
Zum ersten Mal weicht Hennessey ihrem Blick aus und mustert die schmutziggrauen Kaffeereste in seiner Tasse.
«Es gibt noch andere Geheimnisse», sagt er schließlich. «Das Böse hat dieses Haus schon lange beherrscht, bevor ich es überhaupt bemerkt habe.»
Als Judy ihn anruft, sitzt Nelson gerade an ihrem Schreibtisch. Er sucht nach ihrer Abschrift des Gesprächs mit Schwester Immaculata und ist entsprechend erstaunt und auch ein bisschen erschrocken zu hören, dass Judy unterwegs nach Southport ist, um ebendieser Nonne einen weiteren Besuch abzustatten.
«Was soll denn das werden, Johnson?»
«Ich glaube, ich habe etwas über Schwester Immaculata herausgefunden. Es könnte wichtig sein.»
Nelson fängt langsam an, bis zehn zu zählen, gibt dann aber schon bei fünf auf. «Wann sind Sie wieder da?»
«Am späteren Abend.»
Nelson seufzt. Judy ist eine gute Polizistin. Er vertraut ihrem Instinkt, und einen Durchbruch in dem Fall können sie weiß Gott gebrauchen.
«Nein, bleiben Sie ruhig
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