Knochenhaus (German Edition)
aufgewärmtem Kaffee und Butan-Gas mischen. Clough schnuppert genüsslich.
Neben dem Gasofen sitzt ein alter Mann in einem Sessel. Ein jüngerer Mann, vermutlich der Sohn, klopft an einem kleinen Stück Marmor herum. Im Hintergrund bettelt die Sängerin Duffy um Gnade.
«Mr. Wilson?» Clough streckt dem Mann die Hand hin. «Ich bin Detective Sergeant Clough.»
Der alte Mann reicht ihm eine schmale Hand, die in einem fingerlosen Handschuh steckt. «Wilson senior. Reginald Wilson. Ich nehme an, Sie wollen mit mir reden?»
«Nun, ja, Sir. Ich hatte Ihrem Sohn schon am Telefon erklärt, dass wir uns für den Torbogen interessieren, den Sie 1956 in der Woolmarket Street gebaut haben. Für Christopher Spens.»
Reginald Wilson deutet auf ein leinengebundenes Buch, das er im Schoß hält. In schwarzer Tinte steht «1954–1958» darauf. «Das steht alles hier in diesem Buch. Ich sage Stephen immer wieder: Schreib dir alles genau auf. Man weiß nie, wann man es noch einmal braucht. Aber heutzutage müssen es ja unbedingt Computer sein. Dabei sind die längst nicht so verlässlich wie ein Buch.» Sein Sohn verdreht gutmütig die Augen.
Clough folgt dem zitternden Finger des alten Mannes bis zu einem mit Bleistift geschriebenen Eintrag. «Steinerner Torbogen plus Portikus. Portikus mit Säulen in römischem Stil, Torbogen alleinstehend, Granit. 2½ × 1 m. Inschrift: Omnia Mutantur, Nihil Interit.»
«Lateinisch», meint Clough. «Albernes Gefasel, was?»
«Ich hatte Latein auf der Schule», erwidert Reginald Wilson nachsichtig. «Das ist ein recht bekanntes Zitat. Es bedeutete Mr. Spens viel, vermutlich weil seine Tochter gestorben war. Er sagte, der Torbogen sei als Andenken an sie gedacht, als Zeichen, dass nichts jemals ganz verloren geht.»
Leicht brüskiert fragt Clough: «Was war Christopher Spens denn für ein Mensch?»
Wilson schweigt einen Augenblick und wärmt sich die Hände am Feuer. Dann sagt er: «Zu mir war er immer ausgesucht höflich. Er hat mich als Handwerksmeister anerkannt, das ist in unserer Branche sehr wichtig. Aber er blieb distanziert dabei, wenn Sie verstehen, was ich meine. Natürlich hatte er ein Kind verloren, und das verändert einen Menschen. Aber mein Eindruck war, dass es auch sonst sicher nicht ganz leicht war, ihm näherzukommen.»
«Und seine Frau, Rosemary?»
«Die habe ich kaum zu Gesicht bekommen. Soviel ich weiß, war sie bettlägerig. Aber den Sohn haben wir oft gesehen. Netter Junge. Er hat uns beim Graben geholfen.»
«Roderick?»
«Ja. Er leitet die Firma noch selbst, nicht wahr?»
«Das macht inzwischen sein Sohn, Edward.»
«Ach ja, Väter und Söhne.» Reginald Wilson sieht zu seinem Sohn hinüber, der eifrig mit dem Marmorblock beschäftigt ist. Der Feuerschein spiegelt sich in dem glänzenden Stein. «Darum geht es doch im Grunde, finden Sie nicht? Die Firma an den eigenen Sohn weiterzugeben. Nur dafür schuften wir alle.»
Als er durch die Stein-Menagerie zurück nach draußen geht, fällt Clough der Titel des Kinderbuchs wieder ein: Die Abenteuer im Wandschrank. Das muss er unbedingt Judy erzählen. Sie wirft ihm immer vor, dass er nicht liest.
27. Juni
Festtag des Jupiter Stator
Heute früh erschien plötzlich ein schwarzer Hund auf dem Rasen vor dem Haus. Ein Bote der Göttin, das steht fest. Er blieb auf dem Rasen stehen, wandte den Kopf und sah mich an. Ich saß im Wohnraum und las Suetonius. Ich erwiderte seinen Blick und sandte eine Botschaft: «Soll es bald sein, Herrin?» Und sie antwortete mir: «Bald.»
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26
«Wie reizend», sagt Pater Hennessey höflich, obwohl das Café, das Ruth völlig willkürlich ausgewählt hat, alles andere als reizend ist. Weil sie einen weiteren Besuch bei Starbucks um jeden Preis vermeiden wollte, hat Ruth «Cafés+Norwich» gegoogelt und Bobby’s Bagels entdeckt, eine altmodische, heruntergekommene Spelunke mit Resopaltischen und schmutzigen Stores an den Fenstern. An der Schürze des Inhabers (Bobby persönlich?) kleben die Essensreste von mindestens drei Tagen, und falls er nicht gerade dabei ist, über die Freisprechanlage zu telefonieren, leidet er vermutlich an einer schweren schizophrenen Störung.
Doch immerhin liegt das Café in unmittelbarer Nähe der Woolmarket Street, und Ruth kann im Vorbeigehen noch einen kurzen Blick auf das Baugrundstück werfen. Bis auf den Torbogen ist das alte Haus inzwischen ganz verschwunden: Salons, Küche, Bäder, Wunschbrunnen und
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