Knochenjagd (German Edition)
Augenblick lang stand ich da und atmete das Aroma des dunklen, klebrigen Harzes ein, das durch die Bäume strömte. Wem wollte ich was vormachen? Der Hund war tot.
Schweren Herzens ging ich auf mein Zimmer.
Vier Uhr nachmittags.
Ich holte meine wärmsten Sachen aus dem Koffer und hängte sie über einen Stuhl.
Zehn nach vier.
Um die Zeit totzuschlagen, machte ich es mir auf dem Bett bequem und schlug das Buch über Bergbau auf. Obwohl ich wegen der anstehenden Exhumierung ein wenig aufgeregt war, spürte ich doch die Nachwirkungen des Schlafmangels. Zur Sicherheit stellte ich die Weckfunktion meines Handys auf 17 Uhr 20.
Auf dem hinteren Vorsatz des Buchs befand sich eine Karte von Nunavut und den Northwest Territories.
Schon mein ganzes Leben lang haben mich Atlanten und Globen fasziniert. Als Kind hatte ich oft die Augen geschlossen und den Finger auf eine beliebige Stelle gedrückt. Dann hatte ich den Namen der Gegend gelesen und mir die exotischen Menschen vorgestellt, die in dieser Stadt, auf dieser Insel oder in dieser Wüste lebten.
Ich hing schon wieder am Haken.
Und erlebte einen Schock.
Ich hatte gedacht, Yellowknife würde am obersten Ende des Planeten kleben. Keineswegs. Nördlich des 60. Breitengrads versteckte sich noch eine ganze Menge Geografie.
Umingmaktok. Kugluktuk. Resolute. Fort Good Hope. Die Namen deuteten auf den Zusammenprall der Kulturen hin, der in dieser Region stattgefunden hatte. Und wir alle wissen, wie der letztendlich ausging.
Wieder dachte ich daran, wie verbittert Snook über die immer noch herrschenden Vorurteile gegenüber der indigenen Bevölkerung gesprochen hatte. Fragte mich, ob sie recht hatte.
Mein Zimmer hatte zwei Temperaturoptionen, die beide nicht mit dem kaputten Schalter des Plastikthermostats reguliert werden konnten, das halb aus der Wand hing. Heute war offenbar der Tropenmodus dran.
Die Lider wurden mir schwer. Der Kopf sank mir auf die Brust, was mich dann wieder weckte.
Ich konzentrierte mich wieder auf die Karte. Ich fand die Diamantenminen Ekati und Diavik, die beide praktisch auf der Grenze zwischen Nunavat und den NWT lagen. Im Südosten lag der Snap Lake und südlich davon Gahcho Kué.
Meine Gedanken schweiften ab.
Gahcho Kué. Früher der Kennady Lake. Die neue, von De Beers projektierte Mine.
Wieder klappten die Lider herunter.
Von irgendwoher tauchte ein Bild von Horace Tyne auf.
Horace Tyne wehrte sich gegen das Gahcho-Kué-Projekt. Behauptete, seine Existenz würde die Karibus bedrohen.
Ich sah eine Herde.
Ein Schild mit der Aufschrift Naturreservat.
Einen Aufkleber der Alberta Wilderness Association.
Zwei Fische, einer schmutzig weiß, der andere golden.
Gold.
Horace Tyne. Die Giant-Goldmine.
Kirchenglocken läuteten.
Meine Augen sprangen auf.
Zwanzig nach fünf.
Ich zog Sweatshirt und Jacke an, band meine Stiefel und steckte mein iPhone in den Rucksack.
Höchste Zeit, Daryl Beck aus der Erde zu holen.
31
Ein Vorteil des Sommers im hohen Norden: mehr als zwanzig Stunden Tageslicht. Als ich die gewundene Straße zum Lakeview fuhr, war der Himmel mittagshell.
Auf dem Parkplatz standen bereits ein paar Autos. Hinter dem Steuer eines Leichenwagens saß ein Junge und spielte mit einem Gerät in seinen Händen. Er hob nicht einmal den Kopf, als ich neben ihm einparkte.
Ein Nachteil des Sommers im hohen Norden: menschenfressende Insekten. Moskitos schlugen zu, kaum dass ich ausgestiegen war, umschwirrten mich, um die frohe Botschaft einer neuen Nahrungsquelle zu verbreiten.
Der Lakeview Cemetery hatte altmodische Grabmarkierungen, nicht nur die liegenden Deckplatten, die für mähende Gärtner so praktisch sind. Manche waren selbst gemacht: ein Holzstuhl, ein paar mit Schnitzereien verzierte Wapiti-oder Karibuhörner, ein graviertes Paddel. Andere waren traditionelle Grabsteine mit Kreuzen oder Engeln mit Blumen oder Harfen in den Händen darauf.
King entdeckte ich auf der rechten Seite eines Grabs, das von einem weißen Lattenzaun umgeben war. Neben ihr stand ein Mann in einem Tweedsakko, das viel zu groß für ihn war. Gut drei Meter hinter ihnen schnurrte ein kleiner Schaufelbagger im Leerlauf, die Schaufel eingefahren und verriegelt.
Ich ging auf King und ihren Begleiter zu und schlug dabei Stechmonster so groß wie Pelikane weg. Der Abend war feucht, aber einigermaßen warm. Die Luft roch nach totem Gras, modrigem Holz und frisch umgegrabener Erde. Eau de Exhumierung.
Kings Team bestand aus sechs Männern, alle
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