Knochenjagd (German Edition)
indigener Abstammung. Mit dem Schaufelbagger hatten sie die oberste Erdschicht entfernt und etwa einen Meter tief gegraben, dann waren sie mit Schaufeln ins Loch gesprungen. Jetzt standen sie bis zu den Schultern darin, kratzten die Erde weg, die Becks Sarg umgab, und warfen sie neben dem Grab auf den Boden.
King stellte den Mann als Francis Bullion von der Kommunalverwaltung vor. Bullion hatte die genaue Lage von Becks Grab bestätigt. Wir gaben uns die Hand. Er hatte graue Haare, eine randlose Brille und einen sehr kleinen Kopf.
»Alle sind da, also denke ich mir, wir können anfangen«, sagte King.
»Ist mir nur recht.«
»Das ist so außergewöhnlich.« Bullion klang wie ein Vogel. Ein sehr aufgeregter.
Ich lächelte Bullion zu, wandte mich dann wieder an King. »Sie haben sehr schnell reagiert.«
»Die Leute brauchen Arbeit. Snook wollte es unbedingt.«
»Und ich auch«, zwitscherte Bullion. »Ich habe auch nichts dagegen, dass heute Samstag ist. Überhaupt nichts.«
»Vielen Dank, Sir«, sagte ich.
»Ich hab so was schon mal im Fernsehen gesehen. Das war genauso wie hier.«
»Was Sie nicht sagen.«
Das Team war ähnlich eifrig. Und effizient. Um 19 Uhr 40 hatten sie den Sarg aus dem Grab gehoben. Um acht im Leichenwagen. Bullion bot an, beim Team zu bleiben. King dankte ihm und schickte ihn los.
King und ich folgten dem Leichenwagen nach Stanton. Eine Schwester und zwei Pfleger erwarteten uns an einer Ladebucht an der Rückseite. Die drei, King, der junge Fahrer und ich bugsierten den Sarg auf eine Rollbahre. Dann waren wir Mädchen unter uns.
Die Schwester hieß Courtney. Sie hatte lange, blonde Haare, haselnussbraune Augen und sah aus wie etwa zwanzig. Sie sprach King mit dem Vornamen an, deshalb nahm ich an, dass sie einander kannten. Oder verwandt waren.
Courtney führte uns durch eine große Doppelpendeltür in einen großen Raum. Grüner Fliesenboden, sirrende Neonlampen an der Decke, eine Wanduhr mit einem Minutenzeiger, der sich in hörbaren, ruckartigen Sprüngen bewegte, eine Edelstahlwanne und eine ebensolche Arbeitsfläche.
Eine zweite Bahre stand mitten auf dem Fliesenboden. Die Instrumente, die ich angefordert hatte, lagen auf einem Tablett auf der Arbeitsfläche.
Wir stellten den Sarg an eine Wand. Es war ein nicht sehr teures Modell, wahrscheinlich etwas dickeres Stahlblech. Die Außenhaut war pinkfarben, die Scharniere mit Orchideen geschmückt. Nach vier Jahren in der Erde war er noch gut in Schuss.
Schon hatte der Raum den Geruch des Sargs und seines Inhalts angenommen. Rostendes Metall. Zerfallende Textilien. Feuchte Erde. Ich roch allerdings nichts von dem eklig organischen Gestank, der mit den meisten Exhumierungen einhergeht.
King und ich zogen unsere Jacken aus. Sie füllte ein Fallformular aus und machte Fotos. Dann zogen wir alle Gummihandschuhe über und verknoteten Schürzen im Rücken und im Nacken.
Ich streckte die Hand aus. King gab mir ein Stahlwerkzeug. Ich trat an den Sarg und öffnete den Verschluss. Der obere Teil des Deckels ließ sich leicht anheben.
Die Plastikwanne steckte zwischen schimmeligen und fleckigen pinkfarbenen Samtkissen, die früher einmal als »verstellbares Bett der ewigen Ruhe« verkauft worden waren.
King machte weitere Fotos.
Ich hob die Wanne auf die zweite Bahre. Courtney sah mit sehr großen Augen zu. Noch hatte sie kein Wort zu mir gesagt.
Ich hob den unteren Teil des Sargdeckels an. King gab mir eine Taschenlampe. Ich leuchtete ins Innere des Sargs, entfernte Auskleidung und textiles Gewebe, tastete Falten und Vertiefungen mit den Fingern ab.
Und fand nichts.
Ich schaute King an.
»Machen wir das Ding auf«, sagte sie.
Ich hob den Deckel von der Plastikwanne.
King hatte nicht übertrieben. Das Feuer hatte nicht viel von Daryl Beck übrig gelassen. Wahrscheinlich war allerdings auch, dass diejenigen, die den Tatort bearbeitet hatten, weder die Fähigkeiten besessen hatten, stark verbrannte Knochen zu erkennen, noch die Geduld, sämtliche Fragmente zu bergen.
In der Wanne lagen nur die dickeren, robusteren Teile des Skeletts. Oder die Teile, die von viel Muskelmasse geschützt waren. Ich sah weder Wirbel noch Rippen. Kein Schulterblatt, kein Schlüsselbein, kein Brustbein. Nichts vom Gesicht, von Händen oder Füßen.
Jedes Fragment war durch Hitzeeinwirkung massiv beschädigt. Der Schädel war explodiert, dann hatten die einzelnen Stücke zu brennen angefangen. Vom Unterkiefer waren nur noch zwei kleine Teile übrig,
Weitere Kostenlose Bücher